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Fran Galović gilt als einer der bedeutendsten kroatischen Schriftsteller des frühen 20. Jahrhunderts. Er wurde am 20. Juli 1887. im Dorf Peteranec unweit von Koprivnica im nordkroatischen Drautal geboren. Das Gymnasium schloss er in Zagreb ab, wo er auch Slawistik und klassische Philologie studierte (davon ein Semester in Prag). Nach abgeschlossenem Studium arbeitete er als Gymnasialprofessor in Zagreb. Bald nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs erfolgte jedoch seine Einberufung. An der Front ließ er am 26. Oktober 1914 sein Leben. Es bestehen Vermutungen, er habe Selbstmord begangen, diese wurden jedoch nie bestätigt.
Mit Literatur begann sich Galović noch als Gymnasiast zu beschäftigen (1903), sodass bis zu seinem frühen Tod ein beachtliches und vielfältiges Werk zustande kam. Neben zahlreichen Beiträgen in Zeitschriften, veröffentlichte er insgesamt vier Bücher, die Dramen Tamara (1907) und Vor dem Tode (Pred smrt, 1913), die Erzählung Der Zauberspiegel (Začarano ogledalo, 1913), sowie den Sonettzyklus Vier Städte (Četiri grada, 1913). Sein Lyrikband Der tote Traum (Mrtvi san) war bereits 1908 druckbereit, wurde von Galović Zeit seines Lebens nicht herausgegeben, ebenso auch sein wohl bedeutendstes Werk, die Gedichtsammlung Aus meinen Bergen (Z mojih bregov). Im damaligen Kroatischen Nationaltheater in Zagreb wurden 1907 seine Einakter Tamara und Die Sünde (Grijeh) aufgeführt, ein Jahr danach auch die historische Dramentrilogie Mors regni. Ohne Bühnenaufführung blieben Zeit seines Lebens leider auch seine wohl besten Dramen Mutter (Mati), Vor dem Tode und Maria Magdalena (Marija Magdalena). Außer seiner literarischen Werke, veröffentlichte er auch zahlreiche Essays und Kritiken, übersetzte aber auch Charles Baudelaire, Oscar Wilde, sowie eine Reihe slowenischer Lyriker. Galovićs Gesamtwerk wurde der Öffentlichkeit erst in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts zugänglich, als von seinem einstigen Freund, dem Schriftsteller und Sprachwissenschaftler Julije Benešić seine gesammelten Werke herausgegeben wurden.
Ahnung der Zuflucht, Ruf der Ferne
Obwohl sich heute gerade seine Gedichte größerer Bekanntheit erfreuen, war Galović eigentlich am meisten an der dramatischen Literatur interessiert. Davon zeugt nicht nur die Tatsache, dass er zeitlebens hauptsächlich dramatische Texte verfasst (mehr als die Hälfte seines Werks sind Dramen), sondern auch dass er als leidenschaftlicher Theaterbesucher zu diesem Thema zahlreiche Artikel veröffentlicht hat.
Seine besten Gedichte schrieb Galović im Geiste des europäischen Impressionismus, des Symbolismus und der Sezession. Neben landschaftlichen Motiven und einer gewissen Flucht in Mythologie und Vergangenheit, herrschen in den meisten seiner Gedichte dämmernde und mystische Stimmungen vor, sowie Gefühle der Melancholie, der Resignation, des Schmerzes und der Angst, bis hin zur Ahnung des Todes. All das gehört zum typischen Repertoire des modernen bürgerlichen Individualismus am Anfang des 20. Jahrhunderts, als der Glaube an ein positives Weltbild ins Wanken geriet. Rettung wird in diesem Zusammenhang nicht selten in (oft sogar ziellosen) Reisen gesucht, sowie in der Flucht vor dem Alltäglichen, aber auch vor sich selbst:
Dass segeln wir mögen in grenzlosem Raume,
Wo weder sich Ende, noch Morgengrau‘n zeigen,
Ringsum Nachtgesang, nur Wellen, mon’dne Kühle!
Und dann immer weiter. In die große Stille.
Seltener die Sterne, schwindend wie im Traume.
Schließlich aber nichts mehr. Nur des Meeres Schweigen!
(Abend auf See)
Galovićs wichtigstes Werk ist der bereits erwähnte Lyrikband Aus meinen Bergen, in dem die ländliche Heimat es ist, die als von der modernen Zivilisation und den Sorgen des modernen Menschen unberührte Oase Zuflucht bietet. So stark es sich aber von der Welt zu isolieren und sich der Idylle der heimatlichen Weinberge, Felder und Wälder zu überlassen versucht, wird sich das lyrische Subjekt bewusst, dass auch das heimatliche Idyll, sie alles andere Diesseitige, nur von vergänglicher Dauer ist und sieht sich veranlasst, nach etwas anderem zu suchen. Was aber könnte dies sein? Als einzig mögliche Antwort bietet sich jenes an, was über-wirklich, meta-physisch ist, jenes, was einzig erreicht werden kann, wenn man das Diesseitige, beziehungsweise Physische verlässt. Aus diesem Grund erscheinen in diesen Gedichten, wie auch in Galovićs restlicher Lyrik, verschiedene Symbole des Todes, wie etwa der blutige Mond (Mondschein) oder der finstere Wald (Abenddämmerung). Ebenso spürt das lyrische Subjekt die ständige Anwesenheit eines unbekannten Feindes (Gruß), einer Art dämonischen Doppelgängers, wie sie auch in anderen Werken Fran Galovićs vorkommen. Obwohl sie es zum Teil ängstigen, üben die Symbole des Todes / des Jenseitigen zugleich auch eine starke Anziehungskraft auf das lyrische Subjekt aus:
Durch weite Flur geh ich allein,
Versengt sind alle Felder,
Und schläfrig alle Wälder,
Muss rascher noch am Ziele sein…
Dort, wo der Berg sein Grün enthüllt,
In schwülem Mondeslichte
In grauer Wolkendichte,
Im All-Nichts sich mein Glück erfüllt.
(Abenddämmerung)
Eine Verknüpfung mit dem Jenseitigen stellt hier – wie ich in manchen anderen Gedichten und mehr noch Dramen und Erzählungen – der Mondschein dar. Dabei ist sich das lyrische Subjekt selbst nicht darüber im Klaren, was ihn da anzieht – in diesem Mondschein, wie es aus den Versen des anthologischen Gedichts Abenddämmerung ersichtlich ist, befindet sich das Glück, dieses Glück ist aber eigentlich „alles und nichts“ – also etwas Paradoxes, beziehungsweise Unfassbares oder zumindest Unbegreifliches.
Die bereits erwähnte Spannung zwischen dem Zur-Ruhe-Kommen in der Heimat und den Irrungen durch (auch überwirkliche) Fernen wird am explizitesten im anthologischen, wahrscheinlich auch besten Gedicht des Bandes Kostanj (Der Kastanienbaum) zum Ausdruck gebracht, das die Form eines Dialogs zwischen dem lyrischen Subjekt und einem Kastanienbaum, in Wahrheit aber mit sich selbst (mit seinem Unterbewusstsein) aufweist. Der Kastanienbaum im Gedicht fordert das lyrische Subjekt auf, in seiner Heimat Ruhe zu finden und alles andere zu vergessen, das lyrische Subjekt ist sich jedoch der Tatsache bewusst, dass es dies, so stark sein Verlangen danach auch sein, nicht vermag:
„Dann sag mir, wo wir schon zusammen hocken,
Tut dieses Land dich denn gar nicht locken?“
Ich kann nicht zurück, selbst wenn ich es wollt‘,
Ein anderes Leben hat mich zu sich geholt.
Die Antwort des lyrischen Subjekts (die letzten beiden Verse), es könne nicht in seiner Heimat bleiben, da ihn ein anderes Leben zu sich geholt habe, ist einer der Schlüsselpunkte dieses Bandes, aber auch Galovićs gesamten Werks. Es handelt sich dabei um das paradoxe Phänomen der „Irreversibilität der Rückkehr“, sie Milivoj Solar dies treffend formuliert hat – das Zur-Ruhe-Kommen und die Rückkehr in die Heimat werden durch das Bewusstsein von deren Vergänglichkeit, beziehungsweise den steten mystischen Ruf der Ferne und des Jenseitigen unmöglich gemacht. Am Verbleib in der Heimat wird das lyrische Subjekt also durch seine unruhige Sensibilität gehindert, wie sie für den modernen (urbanen) Intellektuellen charakteristisch ist, sodass Aus meinen Bergen zugleich einer Art Konflikt zwischen dem Ruralen und dem Urbanen, beziehungsweise dem Traditionellen und dem Modernen zum Thema hat. Daher scheint die endgültige Antwort des lyrischen Subjekts an den Kastanienbaum paradox, ist aber die einzig mögliche: „Zu stark tat ich doch mich an all dieses binden, / Drum kann ich heut auch keinen Heimweg mehr finden.“ Vielleicht hat das lyrische Subjekt seine Heimat auch schon satt, weil sie ihm, als modernem Intellektuellen, nicht genügen Herausforderung bietet, vor allem in Bezug auf die erahnte Jenseitigkeit.
Die im Band enthaltenen Gedichte wurden von Galović im kajkavischen Dialekt verfasst, der im Nordwesten Kroatiens gesprochen wird. Obwohl Aus meinen Bergen wegen Galovićs frühem Tod unvollendet geblieben ist, stellt der Band doch das erste in diesem Dialekt geschriebene Werk dar, das zahlreichen kajkavischen Dichtern zum Vorbild geworden ist und gewisse auch zu den besten der kroatischen Lyrik zählt.
Hinter dem Spiegel
Galovićs beste dramatische und Prosatexte bewegen sich im Umfeld des Naturalismus und Symbolismus. Unter den naturalistischen zählen wiederum das Drama Mutter (Mati, 1908) und die Erzählung Der Schwiegervater (Svekar, 1912) zu den besten. Beide erzählen vom moralischen Verfall der Ruralen Gemeinde und haben tragische weibliche Figuren. Aus Galovićs symbolistischer Novellistik ragt gewiss Der Zauberspiegel hervor, in dem eine verstorbene Ehefrau ihren Gemahl auf eine phantastische Reise durch jenseitige Gefilde führt und ihm dort die Geheimnisse des Lebens und der Liebe enthüllt. Es ist eines von Galovićs stets wiederkehrenden Themen, bzw. Schlüsselthesen seines Werks – ideelle und ewige Liebe ist erst im Jenseitigen, hinter dem Spiegel, möglich.
Galovićs wohl beste Erzählung ist Die Beichte (Ispovijed, 1914), eine Reihe seltsamer Bilder und Gedanken, die dem Leser von einem aus dem geistigen Gleichgewicht geratenen Ich-Erzähler präsentiert werden. Dabei bleibt es im Unklaren, ob der Erzähler von einem Traum erzählt, ob er nicht doch dem Wahn verfallen ist, oder aber ob all dies nur Teil einer Fiktion ist, an der er gerade schreibt. „Ich kann nicht mehr zwischen Traum und Wachen unterscheiden. Alles ist vor meinen Augen miteinander verwoben und vermischt. Alles ist eins…“, gesteht der Erzähler autoreflexiv und fügt hinzu: „Ich spüre, dass ich wahnsinnig werde. Vielleicht bin ich es schon, sogar seit langem, habe es aber nur nicht gewusst…“ Oder aber es handelt sich um eine seltsame Mischung aus Traum, Fiktion und Wahnsinn:
„Nein, nein – das ist alles nicht wahr!
Es sind alles nur Schrullen, Hirngespinste, ich bilde es mir nur ein…
Sitze ich doch hier am Tisch und schreibe ganz einfache, frei erdachte Sachen, die ich weder erlebt habe, noch jemals erleben werde. Es ist alles nur Einbildung, Lüge und nichts weiter.
Ich lege meine Beichte ab! Aber warum? Wem?
Und wie lange ist es schon her, dass ich angefangen habe, das alles zu schreiben? Einige Monate werden schon verstrichen sein.
Ich habe aufgehört, an all das zu denken, plötzlich war aber dieser Zwang da, das Manuskript aus der Schublade zu holen und es fortzusetzen. Und ich habe weitergeschrieben, wo ich aufgehört hatte. Wie war das doch nur – ?
Ja, jetzt erinnere ich mich an alles.
Ich habe geträumt und es niedergeschrieben. – Aber wann? Im Traum oder in Wirklichkeit?
Das ist es ja, was ich nicht weiß und auch niemals in Erfahrung bringen werde. Und das plagt mich, lässt mich nicht schlafen und verwandelt mein Wachen in Träume.“
Auf jeden Fall nimmt Die Beichte durch die radikale Fragmentierung des Erzählens und das Hinterfragen des ontologischen Standes der darin dargestellten Wirklichkeit nicht nur die zeitgemäßen expressionistischen, sondern auch manche der späteren postmodernistischen Erzähltechniken vorweg.
Geschrieben vor allem unter dem Einfluss Ibsens, Wildes oder Maeterlincks psychologisch-lyrischer Stücke, befassen sich Galovićs beste Dramen mit dem Verhältnis zwischen Eros und Thanatos. Im Mittelpunkt stehen meist weibliche Figuren, wobei die einen es nicht schaffen, ihre leiblichen Triebe zu überwinden (Tamara, 1907), während die anderen doch zur Einsicht gelangen, dass die einzig echte Liebe von spiritueller Natur ist (Maria Magdalena, 1913). Galovićs wohl gelungenstes Drama ist der Einakter Vor dem Tode (Pred smrt, 1913). Dieses Stück, dessen Handlung sich zur Gänze neben der Bahre einer verstorbenen Frau vom Lande abspielt, beginnt in naturalistischer, endet aber in expressionistischer Manier, durch den Besuch einer Unbekannten, die den jungen Witwer ins Jenseits ruft:
„DIE UNBEKANNTE: Dort, wohin ich gehe, muss es schön sein… Du gehst immer weiter, spürst aber nichts… Hinter dir bleibt der Weg, die Straße, die du entlanggehst wird aber immer länger… Und sie hat kein Ende… Stets wird sie größer und breiter und schöner… Komm!“
Obwohl die Unbekannte Marko auch etwas dämonisch vorkommt, erscheint, nachdem sie ihr Kopftuch abnimmt, ein „schönes, bleiches Gesicht“, das gleich darauf wieder verschwindet. Fiebernd vor Angst und Beklommenheit, aber auch vor Erregung und einer gewissen Bewunderung des gerade Gesehenen (vielleicht hat er in diesem Gesicht auch seine tote Ehefrau erkannt?), will Marko ebenfalls aus dem Haus hinausstürzen (ihr nach?). Nach anfänglichem Ankämpfen gegen die verschlossene Tür, stürzt er jedoch ohnmächtig über die Schwelle. Durch das Überschreiten der Hausschwelle übertritt Marko eigentlich die Schwelle des Diesseits und geht der Unbekannten (seiner gestorbenen Frau?) in den Raum des Unmessbaren nach (wo ihre ewige Liebe sich erfüllt?). Auf jeden Fall geht das Drama durch das Miteibeziehen von Markos Traum, beziehungsweise seines Kontaktverlusts mit der Wirklichkeit, worauf er zur Gänze seinen Visionen verfällt, aus dem Naturalistischen nicht nur ins Symbolistische, sondern auch ins Expressionistische über, in einen antimimetischen Modus, in dem gerade Träume und Visionen, aber auch Vertreter des Jenseitigen, als überaus häufige Elemente vorkommen werden.
Wäre sein früher Tod ihm nicht zuvorgekommen, hätte Galović bestimmt noch weitere anthologische Werke verfasst. Dies ist durchaus anzunehmen, weil seine literarische Entwicklung kurz vor seinem Tode eine aufsteigende Tendenz angenommen hatte. Daher ist es gewiss nicht anmaßend, zum Schluss zu kommen, Galovićs früher Tod habe eine der perspektivenreichsten schriftstellerischen Biographien innerhalb der modernen kroatischen Literatur unterbrochen.
Übersetzung aus dem Kroatischen: Boris Perić