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kroatischer Originaltitel „Dioklecijanova palača“)
aus dem Kroatischen übersetzt von Tihomir Glowatzky (tihoglow@gmx.de)
PERSONEN:
Diokletian
Sänger mit Laute
Erster Höfling
Zweiter Höfling
Dritter Höfling
Erster Baumeister
Zweiter Baumeister
Dritter Baumeister
Erster Händler
Zweiter Händler
Dritter Händler
Erster Arbeiter
Zweiter Arbeiter
Dritter Arbeiter
ERSTER AKT
(Zu sehen ist ein Saal mit einfachen Steinbögen, von denen zwei links und rechts von der Bühne zum Publikum gewandt sind. In der Mitte steht Diokletians Thron, daneben eine Platte mit Weintrauben und Feigen. Von außen ist der unartikulierte Lärm einer begeisterten Volksmenge zu hören. Diokletian und der Sänger treten auf. Diokletian trägt über der Tunika eine festliche Toga mit einem purpurroten Rand. Der Sänger trägt eine Laute und lümmelt sich auf den Thron.)
SÄNGER: Hey, das war doch mal eine Pracht von Parade! Uff, diese Hitze. Ich bin bis auf die Haut durchnässt. Diokletian, du hast deinem Volk sowohl eine triumphale Parade als auch Thermalbäder geschenkt (Pause) Aber, mein lieber Diokletian, du bist eigentlich schon viel zu alt dafür, dass man dich zu all diesen Paraden mitschleppt wie die Christen ihr Kreuz.
DIOKLETIAN: Ach, lass mich in Frieden.
SÄNGER: (springt vom Thron auf, macht sich auf pathetische Weise lustig) Du bist nur noch zur Belustigung des verwöhnten Volkes gut. Du bist kein Kaiser, sondern ein Unterhalter. Nicht einmal mehr die Götter, die sonst jeden und alles mit Neid betrachten, beneiden dich.
DIOKLETIAN: Lass mich in Ruhe, sag ich. (verärgert) Hilf mir lieber, diese Edelsteine abzunehmen.
SÄNGER: (hilft ihm) Schon gut, schon gut, sei nicht gleich sauer. Du weißt, dass ich das nicht ernst gemeint habe. Die Festparade war großartig. (Lärm von draußen) Hörst du sie, sie sind noch immer begeistert! So eine Parade zählt in Rom mehr, als eine Schlacht gegen die Perser zu gewinnen. Oder ein Gesetz zur Erhöhung der Pensionen für die Veteranen. Die ganze Welt ist nach Rom gekommen.
DIOKLETIAN: (verbittert) Die ganze Welt ist in Rom, und die Stadt hat nichts Sehenswertes zu bieten.
SÄNGER: (greift zur Laute und begleitet sich zum Gesang)
Wenn der Kaiser mit der Welt
nicht mehr ist zufrieden.
Ist dann der Welt oder ihm
böses Schicksal beschieden?
DIOKLETIAN: Dieser Triumphzug hat mich so ermüdet, das ich nicht einmal mehr Lust auf deine Späße habe.
SÄNGER: Auf dem Höhepunkt seiner Macht ist der Kaiser müde. War es denn so beschwerlich, so hoch hinaufzusteigen? Oder würdest du gern noch höher klettern?
DIOKLETIAN: (schaut ihn nur müde an.)
SÄNGER: (schnell, als ob er die unangenehme Situation retten wollte) Vielleicht bist du krank? Vielleicht sollte man Blutegel ansetzen und dich zur Ader lassen. Alte Leute brauchen…
DIOKLETIAN: (droht ihm sanft) Ich werde dich zur Ader lassen.
SÄNGER: (entblößt seinen Hals) Die moderne Medizin besagt, es sei immer besser, bei anderen das Blut anzuzapfen.
DIOKLETIAN: Denke aber daran, dass auch du zu den anderen gehörst.
SÄNGER: (plötzlich mit einer gewissen Sanftheit) Was quält dich denn, mein Diokletian? Du hast das Kaiserreich vergrößert, hast deine Macht gefestigt. Dein Text für die Geschichtsbücher ist schon geschrieben, glücklicher Diokletian! Du hast die Germanen und die Franken, die Armenier und die Briten, die Perser und die Ägypter besiegt (bei jedem der Namen schlägt er einen Akkord auf der Laute an).
DIOKLETIAN: Aus deinem Munde klingen auch die Siege wie Hohn.
SÄNGER: Ach, wenn deine Siege nicht einmal dich erfreuen, wie sollen sie dann mich? (von außen Lärm) Nur dein Gesindel da draußen freut sich jedes Mal…
DIOKLETIAN: (sieht ihn nachdenklich an) Weißt du, mein Lieber, dass ich dir schon längst den Kopf hätte abschlagen lassen wollen, doch habe ich begriffen, dass du eh schon kopflos bist, so wie du mit deinem Kopf spielst. (Pause; in einem anderen Ton weiter) Andererseits höre ich in deiner Stimme manchmal Spott auf meine Kosten oder eine unverschämte Beleidigung und denke mir: Eigentlich bist unter all den Leuten, die mich umgeben, nur du mein wahrer Schatten. Und erschaudere dabei! Ja, ich erschaudere so, wie ein Buckliger erschaudern würde, wenn er in der Morgensonne seinen Schatten erblickt.
SÄNGER: Oh, du überweiser Kaiser, ist denn der Schatten daran schuld, dass dieser einen Buckel hat?
DIOKLETIAN: Du bist wie der Buckelschatten, da du mir auch die Stunde des höchsten Triumphes vermiest! Halte ich dich deshalb bei mir?
SÄNGER: Vor allem anderen – ich halte dich und nicht du mich!
DIOKLETIAN: Du mich?
SÄNGER: Du kennst doch den Christenspruch: Jeder trägt sein eigenes Kreuz.
DIOKLETIAN: (gutmütig) Pass bloß auf, dass dich die Last nicht erdrückt.
SÄNGER: Ach was, du bist mir ein guter Talisman! Du schützt mich eigentlich vor allen anderen Übeln. Wenn ich bei dir bin, will auch der Tod mich nicht. Lass mich aufs Holz klopfen (klopft auf die Laute).
DIOKLETIAN: (drohend) Du bist ganz schön abergläubisch, Grieche!
SÄNGER: (auf einmal sehr fröhlich) Wie sollte ich nicht abergläubisch sein, mein Kaiser! Ich klopfe aufs Holz und es singt gleich los (schlägt einige Akkorde auf der Laute an).
DIOKLETIAN: Du wirst auch lossingen, mein Vögelchen, wenn ich auf dich klopfe! Dann werden wir sehen, wer wen hält.
(Diokletian klopft mit einem Fuß auf den Boden, der Sänger eilt herbei und zieht ihm einen Kothurn aus.)
SÄNGER: (beruhigt ihn) Natürlich hältst auch du mich, mein Kaiser. Du bist der Kaiser und ich dein Sänger. Wer sonst wird von dir sagen, dass du ein guter, gnädiger und gerechter Herrscher bist, wenn nicht ich? Eigentlich bist du, wenn ich dich so von Mensch zu Mensch anschaue, eine liebe, gute und sympathische Person. Allerdings gerät alles, was du tust, ins Gegenteil.
DIOKLETIAN: (steht plötzlich auf, zieht seinen Dolch und richtet ihn drohend auf den Sänger.)
SÄNGER: (weicht aus) Wer außer mir wird sagen, dass ein echter Mensch warst und nicht nur eine Episode der Geschichte?
DIOKLETIAN: (verfolgt den Sänger auf einem Kothurn) Zu deinem Leidwesen bin ich immer noch nicht Geschichte.
SÄNGER: Doch du bist dazu verurteilt, es zu werden. Und ich bin dazu da, deine Taten für die Geschichte zu notieren, da sie sonst niemand kennt.
DIOKLETIAN: Meine Taten sind öffentlich und allen Menschen bekannt.
SÄNGER: Bis sie aber die Untertanen erreichen, verändern sie sich in Form und Darstellung so sehr, dass nicht einmal du sie wiedererkennen würdest. In dieser Form würde dich nicht einmal deine illyrische Mutter erkennen.
DIOKLETIAN: Mein Bildnis befindet sich über allen häuslichen Feuerstellen.
SÄNGER: Wenn der Mensch seine Augen gegen Gott richtet, weißt du dann, ob er sie mit einem Gebet oder mit einem Fluch auf den Lippen erhebt?
DIOKLETIAN: Und ich… halte dich in meinen Diensten, damit du dieses Bild korrigierst?
SÄNGER: So ist es.
DIOKLETIAN: Der mächtigste Kaiser aller Zeiten, Sieger über die Perser und wer weiß, wen sonst noch, muss trotzdem einem Einzelnen vertrauen… dir?
SÄNGER: Es bleibt dir nichts anderes übrig.
DIOKLETIAN: Du wirst mich… „verschönern“?
SÄNGER: Du bist doch wohl keine Hetäre, die man mit Puder und Rouge anmalen muss! Für die Nachkommen wirst du so in Erinnerung bleiben, wie ich dich sehe. Und das heißt, wie du auch tatsächlich warst.
(Auf der Verfolgung des Sängers hat Diokletian diesen nun erwischt und hält ihm den zweiten Kothurn zum Ausziehen hin.)
DIOKLETIAN: Und ich sage dir, mein Lieber, dass ich in Zukunft das sagen werde, was ich sagen will, ohne Rücksicht darauf, wie ich eigentlich bin. Du glaubst aber auch allerhand, mein lieber Sänger. (Pause) Die Erfahrung der Macht hat in mir allerdings jede Naivität vernichtet.
SÄNGER: Alles, was man erfahren kann, ist auch denkbar. Noch besser.
DIOKLETIAN: Macht, mein Lieber, die Macht kennt nur derjenige, der sie einmal gespürt hat. Sie reicht in die Vergangenheit und in die Gegenwart. Sie hat keine Grenzen, außer denen, die sie sich selbst setzt. Kann ich etwa nicht die Sonne dazu zwingen, im Westen auf- und im Osten unterzugehen?
SÄNGER: Daran zweifle ich.
DIOKLETIAN: Du zweifelst? Es genügt, wenn ich morgen den Osten zum Westen erkläre und den Westen zum Osten, und es wird im gesamten riesigen Reich niemanden geben, der entgegen der Macht die Wahrheit sagen würde. Und wenn ich meine Gegenwart dazu zwingen kann, die Farbe Weiß schwarz zu nennen, wieso soll ich da nicht auch der Geschichte befehlen können…
SÄNGER: Glaubst du etwa, die Geschichte würde ebenso nach deiner Pfeife tanzen, wie die Wetterhähne auf deinem Dach hier? Die sind leicht zu überzeugen. Auch das hungernde Volk ist leicht zu überzeugen, das unter der Bewegung deiner Hand wie ein Sängerchor schreit. (pathetisch) Mich muss man überzeugen. Ich bin die Geschichte. Die Geschichte muss überzeugt werden.
DIOKLETIAN: (verächtlich) Wenn du und noch ein paar von den kurzsichtigen Schreiberlingen, die immer darüber lamentieren, zu wenig zu essen zu haben, die Geschichte seid, dann wollen wir doch mal sehen. (Er steht auf und klatscht in die Hände) Höflinge!
SÄNGER: (macht eine Geste, als würde es gleich stinken) Wenn Ihro Majestät es gestattet, würde ich mich jetzt gerne zurückziehen.
DIOKLETIAN: (süßlich) Ach was! Nein, man entscheidet sich nur einmal und dann hat man die Konsequenzen zu ziehen. (Während seiner Antwort treten drei gleichgekleidete Höflinge auf.) Ihr römischen Granden, sagt, was soll ich mit diesem Menschen hier machen?
I HÖFLING: (vorsichtig zögernd) Mit dem Menschen? Ach,… mit dem Sänger da?
II HÖFLING: Mit dem Sänger? Wenn er noch nicht bekannt ist, sollte man ihn ermutigen.
III HÖFLING: Wenn er berühmt ist, sollte man ihn loben.
II HÖFLING: Wenn er jung ist, sollte man ihm raten, sich an Älteren ein Vorbild zu nehmen.
III HÖFLING: Wenn er alt ist, sollte man ihm raten, sich an Homer ein Vorbild zu nehmen.
I HÖFLING: Man muss die Angelegenheit minutiös prüfen.
DIOKLETIAN: Wie es mir scheint, hegt er gewisse Illusionen. Es könnte sein, dass er sich in einen Irrtum verrannt hat.
I HÖFLING: Oh, so etwas passiert sehr leicht.
II HÖFLING: Auf jeden Fall, wir sind der Ansicht, dass es schade ist, dass Diokletian so viel Zeit in dessen Anwesenheit verbringt.
III HÖFLING: Deswegen sind wir der Meinung, dass er gesellschaftlich gesehen schädlich ist.
DIOKLETIAN: (Richtet sich majestätisch und bedrohlich auf.)
II HÖFLING: Vielleicht wäre es am besten, ihn präventiv…
III HÖFLING: … aus Gründen der Sicherheit und mit größter Vorsicht…
I HÖFLING: … einen Kopf kürzer zu machen.
DIOKLETIAN: (strahlt zufrieden; die Höflinge atmen auf, seine Absicht getroffen zu haben.) Euer Ratschlag ist durchdacht und effektiv wie immer, ich kann nicht umhin, als mich eurem Ratschlag anzuschließen.
HÖFLINGE (ergreifen den Sänger und führen ihn in den hinteren Teil der Bühne. Diokletian winkt dem Sänger vom Thron aus zu. Der Sänger denkt immer noch, dass es sich um einen schlechten Scherz handle, erst als die Höflinge im Hintergrunde das Tor zur Löwengrube öffnen, ergreift ihn die Panik.)
SÄNGER: Gnade, mein Kaiser!
DIOKLETIAN: (gleichgültig) Vielleicht möchtest du irgendwelche Irrtümer beichten?
SÄNGER: (schreiend) Ich gestehe. Wie sollte ich auch nicht gestehen?
DIOKLETIAN: (zerstreut) Gestehe, dass du überzeugt bist… von dem, was wir besprochen haben?… dass du dich überzeugt hast von… zum Teufel, was haben wir da besprochen, wovon du nun überzeugt bist…?
SÄNGER: (schnell, vor der offenen Löwengrube stehend) Unwichtig, unwichtig! Ich gestehe!
DIOKLETIAN: Ach, lasst ihn los. (Die Höflinge lassen den Sänger frei.) Du feiger Possenreißer! Dir geht es um das Possenreißen, nicht um Überzeugung.
I HÖFLING: Wenn wir nicht ihn, großer Kaiser… könnten wir vielleicht … jemand anderen…
DIOKLETIAN: Allen geht es nur ums Possenreißen. Doch dabei rollen auch die Köpfe. Ach nein, daran habe ich keinen Spaß mehr. Lasst uns allein. (Die Höflinge gehen schulterzuckend ab. Diokletian greift zu den Trauben, isst ein paar davon und wendet sich dabei an den Sänger.) Siehst du, wie leicht ich dich überzeugt habe.
SÄNGER: Die Sache wäre für mich noch überzeugender gewesen, wenn du mir tatsächlich den Kopf abgeschlagen hättest.
DIOKLETIAN: (belehrend) Nicht ich, mein Sänger, nicht ich. Du hast ja gesehen, wer das Urteil über dich gesprochen hat.
SÄNGER: (verächtlich) Deine Höflinge.
DIOKLETIAN: Meinst da, dass es zu einem anderen Urteil gekommen wäre, wenn es mehr Richter gegeben hätte. Dass das Possenreißen gerechter gewesen wäre?
SÄNGER: Oh, nein. Ich hege keine Illusionen hinsichtlich der Untertanen ihres Kaisers. (deklamiert:) Ich weiß, dass ich ausschließlich von der kaiserlichen Gnade abhängig bin. Wie du selbst gesagt hast, kann der Mensch nur einmal eine Wahl treffen, und ich, ich habe mich entschieden, in dein gnädiges Ohr zu flüstern, um es gut zu stimmen. Soll ich dir ein Liedchen singen, mein Kaiser, vielleicht wird es deine Laune heben? (singt)
Wenn‘s den Kaiser nicht erfreut,
wenn mein Kopf für immer stumm,
wie soll ihn, bitte schön, erfreuen
all sein Triumph und Ruhm?
DIOKLETIAN: (für sich) Langweilig! Dieser Sänger (der immer noch spielt), hm! Possenreißer auf Kosten der Macht, aber ohne Macht. (laut) Warum singst du nicht, wie es sich gehört, über Blumen, Bäume und Wälder zum Beispiel?
SÄNGER: (ahmt seinen Tonfall nach) Und warum isst du zu Mittag mehr als nur den Salat? (vorsichtig) In meinem Lied ist der Kaiser unzertrennlich mit Kohlköpfen verbunden.
DIOKLETIAN: (lässt jäh von den Trauben ab und reagiert scharf) Das bedeutet also, dass auch du diese Gerüchte über mich streust?!
SÄNGER: Gerüchte, Diokletian?
DIOKLETIAN: Dass ich mich von der Herrschaft zurückziehen und Kohl anbauen wolle.
SÄNGER: (führt eine Komödie auf) Aber, aber, Diokletian, wenn du dich tatsächlich zurückziehen würdest, um Kohlköpfe zu züchten, würde Rom leicht ohne Kaiser und ohne Kohl bleiben. (pathetisch) Und wie sehr habe ich beide geliebt! …
DIOKLETIAN: (geht auf den Scherz nicht ein, sorgenvoll nachdenklich) Manchmal scheint mir, Sänger, das ich meine Entscheidungen nicht selbst treffe, sondern jemand anderer außerhalb von mir, stärker als ich.
SÄNGER: (ruft mit erhobener Faust die übliche Parole aus) Niemand ist stärker als Diokletian!
DIOKLETIAN: Bevor ich überhaupt auch nur in der Tiefe meiner Seele an etwas gedacht habe, konnte ich schon irgendwo in den Gängen des Hofes hören, wie diese Gedanken von Zimmermädchen und Wachposten zugeflüstert wurden. Meine geheimen Gedanken werden von den Herolden in alle Ecken der Stadt getragen. Und es scheint mir, dass ich eigentlich gar nicht selbst über alles entscheide, sondern vielmehr wie ein Echo in diesem sumpfigen Froschteich nur das wiederhole, was längst schon entschieden ist.
SÄNGER: Diokletian, mein Diokletian, man kann nicht Mittelpunkt der Welt sein und sich dann beschweren, dass die Welt einen umgibt.
DIOKLETIAN: Die Frage ist, was nun? Was nun, da ich der Mittelpunkt der Welt bin? Mittelpunkt einer lächerlichen Welt! Was tun? Wonach streben? Ich kann nicht mehr um die Macht kämpfen, da ich doch der mächtigste Mann der Welt bin. Egal wie ich auch sein mag. Bin ich nun der Mächtigste oder bin ich das nicht?
SÄNGER: (Parole, wie vorhin) Du bist der Einzige, demnach auch der Mächtigste!
DIOKLETIAN: Bin ich der weiseste und der beste Herrscher der Welt?
SÄNGER: (Parole) Je mächtiger der Herrscher ist, umso weiser und besser ist er. du bist der mächtigste, also auch der beste.
DIOKLETIAN: Habe ich all meine Feinde besiegt?
SÄNGER: (Parole) Sowohl die Feinde als auch die Freunde. Du hast niemanden mehr.
DIOKLETIAN: (plötzlich, verdächtigend) Was meinst du damit, ich hätte niemanden mehr?
SÄNGER: Den man besiegen könnte, meinte ich.
DIOKLETIAN: (setzt im selben Tonfall fort) Habe ich nicht die Macht gefestigt und dem Volke Brot geliefert? Habe ich nicht die Justiz reformiert und die Finanzen stabilisiert? Ist denn nicht die ganze Welt unter meiner Herrschaft, und meine Herrschaft nicht angemessen, weise und reich? Ist das so oder nicht?
SÄNGER: So ist es, mein Kaiser. Doch weder du noch ich sind dadurch auch nur ein bisschen glücklicher und fröhlicher.
DIOKLETIAN: Wieso nur du und ich?
SÄNGER: Nur du und ich haben die Kraft, diese Welt so zu sehen, wie sie ist, und das anzuerkennen.
DIOKLETIAN: Wo hören denn die Leiden tatsächlich auf? Auch wenn du alles erreichst, was der Mensch in einer solchen Welt überhaupt erreichen kann, bleibst du weiterhin unglücklich, wie du es warst, und der einzige Trost ist der, dass du die Kraft hast, das vor sich selbst zu gestehen. Ein Trost für Armselige und für Schwächlinge! Was nützen einem mächtige Waffen, wenn du sie niemandem zeigen kannst? Dem Volk wäre auch mit einem weniger mächtigen, weniger weisen und weniger fähigen Kaiser zufrieden.
SÄNGER: Wird denn alles nur durch die Feinde wertvoller?
DIOKLETIAN: Am Anfang, als ich noch gekämpft habe, wie du es bezeichnest, um an die Spitze zu klettern, habe ich geglaubt, die Macht sei nur ein Mittel, um etwas zu erreichen. Doch was habe ich erreicht? Die Macht, die nackte Macht. Mit jedem neuen Schritt in Richtung Gipfel dachte ich damals, wenn ich dort angelangt bin, würde alles anders werden. Dann könnte ich mich dem einen Sinne widmen. Dem einen. Aber was ist das?
SÄNGER: (für sich) Das frage ich mich auch.
DIOKLETIAN: Das ist irgendwo auf dem Weg zum Gipfel verschwunden, und trotz all meiner Macht kann ich es nicht mehr in diesem Sumpf finden, in dem wir stecken geblieben sind.
SÄNGER: Vielleicht wäre es besser, nicht mehr zu suchen und einfach zu leben.
DIOKLETIAN: Wozu dann all das Bisherige? Das hätten wir auch von Anfang an machen können. Wahrscheinlich war zu Beginn doch nicht alles ganz ohne Sinn. Wir können doch nicht einfach so leben. Ich bin der mächtigste Mensch auf der Welt und kann nichts Vernünftigeres ausdenken, als nur zu leben. Ein mächtiger Herrscher müsste mächtige und unsterbliche Taten vollbringen. Doch wie soll ich das schaffen? Wie sollen wir unseren Ruhm mit Schlachten feiern, wenn es keine Feinde gibt? Wie sollen wir Länder erobern, wenn wir die ganze Welt beherrschen? Wie sollen wir fremde Herrscher stürzen, wenn ich der einzige Herrscher auf dieser Welt bin? Eine Posse! Am Anfang dachte ich: Wenn ich mal Imperator werde, wird alles anders…
SÄNGER: Vielleicht haben alle Imperatoren am Anfang so gedacht.
DIOKLETIAN: (mit einem Anklang von Verzweiflung) Glaub mir, dass ich am Anfang wirklich gewollt habe, dass alles anders wird. Glaub mir, dass ich das auch jetzt immer noch will.
SÄNGER: Mein Kaiser, auch wenn ich der einzige Mensch in deinem Reich wäre, würde ich dir glauben. Ich glaube an die Menschen, auch wenn es sich um Kaiser handelt.
DIOKLETIAN: Aber ich kann nichts ausrichten. Ich bin ohnmächtig. Ich lebe in einem Nebel, in dem ich nichts sehe. Dieses Andere, Erstrebenswerte, das entzieht sich meiner Macht, Sänger. Auf dem Thron fühle ich mich wie in einem Käfig. Ich bin schlimmer dran als der letzte Sklave, der mir abends meine Füße wäscht. Ich kann nicht einmal richtig ausschlafen. Mein Bett ist eine Folterstätte. Mein Schlafzimmer ist der schlimmste Raum im gesamten Hof. Ich schlafe immer noch auf einem militärischen Feldbett, als wäre ich auf einem Kriegszug, meine Füße schauen unter der Bettdecke hervor. Auch im Traum bin ich Diokletian. Ich bin alt geworden und beim Regieren abgestumpft. Was bedeutet denn zu herrschen: Belohnen und bestrafen, als wärest du ein Gott sowie Ränke schmieden und sich einschmeicheln, als wärest du ein Diener. Und warum? Habe ich etwa irgendeine Belohnung dafür erhalten außer chronischer Migräne, Gliederschmerzen und einem zu kurzen Feldbett. (Der Sänger reicht ihm gelangweilt die Platte mit den Trauben.) Die Trauben schmecken mir gar nicht mehr, der Wein auch nicht.
SÄNGER: Der Gipfel ist gar nicht so angenehm, wie er scheint, wenn man ihn von unten anschaut.
DIOKLETIAN: Ich frage mich nur, ob das nun tatsächlich der Gipfel ist? Dieser Sumpf? Gibt es von hier aus kein Weiter mehr? Was nagt denn dann in meinem Innern an mir, in der Leber, wie ein gefräßiger Wurm? Manchmal halte ich inne und denke, ich spiele diese Höhe nur vor mir und vor anderen vor – manchmal aber, dass ich seit der Geburt keine Spanne gewachsen bin.
SÄNGER: (singt zur Laute)
Für Mensch und Macht es besser wäre,
wenn mit der Macht auch der Mensch sich mehre.
DIOKLETIAN: Manchmal scheint es mir, dass ich noch gar nicht zum Gipfel aufgebrochen bin, und dass auf mich seitlich ein ungewisser, steiler, von Nebel verhangener, gewundener Weg wartet, der irgendwohin nach oben führt, ins Ungewisse.
(Er deutet dem Sänger an, seine Worte niederzuschreiben. Als der Sänger Papier und Feder holt, fängt er an zu diktieren, wobei er immer wieder sich selbst bestätigt.)
Muss der Mensch denn tatsächlich immer unter Mühen den Gipfel erreichen wollen oder sind wir von Anfang an nur Opfer einer Fata Morgana, eines Trugbilds, so dass alle Wege eigentlich immer nach unten führen, und nur nach unten? Wenn dem so ist, dann ist es besser, gleich unten zu bleiben. Dann ist alles vergeblich, sinnlos, dumm. Dann ist das Streben nach Macht ebenso unbegrenzt wie die Macht selbst. (Diokletian hält inne, unzufrieden mit dem, was er gesagt hat. Er ändert den Tonfall, steht auf.) Aber nein, bei den Göttern meiner Väter, Diokletian ist mächtig genug, sein eigenes Schicksal zu wenden, und wenn es sein muss, auch die Welt zu verändern! So, wir machen das jetzt anders, Sänger. Wir werden ihm unsere Rücken kehren, diesem trüben, nebligen Stern unseres Schicksals und uns der Sonne zuwenden, wie die Pflanzen! Ganz anders! (Plötzlich wechselt er von der Pathetik zu einem vertraulichen Ton über. Mit Hilfe des Tabletts baut er ein Baumodell aus Trauben und Feigen auf, dass wegen Unstabilität irgendwann zusammenfällt.) Hör mal zu, du und ich werden ein bescheidenes Häuschen am Meeresufer erbauen, mit Weinreben über dem Eingang. Schon als Junge habe ich davon geträumt. Ein kleines Steinhäuschen am Meer, mit Weinranken um das Haus herum, ein paar Feigen, ein kleines Feld mit Kohl und Zwiebeln, ein kleiner Weinberg, zwei-drei Sklaven, die ihn bearbeiten – und wir ziehen uns dorthin zurück, du und ich, Sänger, vielleicht mit ein paar Frauenzimmern. Wir werden Musik machen, singen, uns unterhalten, jeden Abend bis tief in die Nacht, jedes Jahr bis zur Winterzeit, das ganze Leben lang bis ins hohe, friedliche und fröhliche Alter.
SÄNGER: (halb ironisch, halb gefühlvoll) Und du nimmst mich dorthin mit?
DIOKLETIAN: (mit tiefem Gefühl) Aber klar! Ich kann doch nicht ohne dich sein, mein Alter!
SÄNGER: Und wir werden unser Brot selbst backen?
DIOKLETIAN: Selbst.
SÄNGER: Und Trauben keltern?
DIOKLETIAN: Und Trauben keltern, jawohl, und Oliven ernten und Netze auswerfen!
SÄNGER: Und wir werden abends auf der Terrasse unter dem Weinlaub sitzen und zuschauen, wie das Meer im Sonnenuntergang purpurn glänzt.
DIOKLETIAN: Das wird unser einziger Purpur sein.
SÄNGER: Und wenn die Ernte gut ausfällt, werden wir so viel Oliven, so viel Wein und so viel Mehl haben, dass wir sie verkaufen können.
DIOKLETIAN: Vielleicht sogar schon in ein-zwei Jahren.
SÄNGER: Davon könnten wir uns dann ein größeres Boot kaufen und unsere Waren bis nach Rom bringen, als richtige Exporteure.
DIOKLETIAN: Vielleicht auch das.
SÄNGER: Vielleicht werden wir so viel Geld verdienen, dass wir uns eine ganze Flotte von Galeeren anschaffen könnten, mehr Land dazu kaufen und mehr Sklaven…
DIOKLETIAN: (antwortet nicht, nickt nur mit dem Kopf).
SÄNGER: Möglicherweise können wir uns auch eine Abteilung von Soldaten mieten, um uns vor Räubern und Nachbarn zu schützen, damit wir die Angriffe von neidischen levantinischen Händlern abwehren können. Vielleicht können wir sogar eine kleine Provinz gründen, in der du vielleicht zum Gouverneur ernannt wirst… und dann…
DIOKLETIAN: Halt! Nein! (Pause) Ich verspreche dir! Bleib nur bei mir! Ich verspreche dir, dass das nicht passieren wird. Wir werden in Klein-Arkadien leben, mein Sänger. In unserer privaten Welt, die klein bleiben soll, Deine Lieder, falls du laut singen solltest, werden von der einen bis zur anderen Grenze reichen.
SÄNGER: (nun voll begeistert) Ich werde laut singen, Diokletian, so laut es meine Kehle zulässt, aber nicht lauter.
DIOKLETIAN: Ich werde mit dir singen! Du wirst mir ein paar Stunden Gesangsunterricht geben müssen, meine Stimme ist durch das viele Befehlen rau geworden. Dafür werde ich dich, du Faulpelz, lehren, wie man einen Weinberg bestellt. Eine Hacke ist nicht mit einer Laute zu vergleichen, oh nein!
SÄNGER: Der Weinberg soll unsere Laute sein, auf der wir das Lied unseres Lebens spielen werden, Diokletian. Und leben, wir werden leben.
DIOKLETIAN und SÄNGER (hüpfen gemeinsam und schreien) Leben! Leben! (Dann singen sie):
SÄNGER: Leben, ach, leben!
Wir fühlen uns so wohl!
Es gibt kein‘ größern Luxus
Als ein Beet mit Kohl!
(In diesem Moment treten die drei Höflinge auf, sie schauen sich gegenseitig fragend an und schütteln besorgt den Kopf, ihren Unmut über die Szenerie deutlich zeigend.)
II HÖFLING: Kein Wunder, dass in Rom alles drunter und drüber geht. Manche haben gesungen, als Rom brannte, und nun tanzen sie! O, tempora, o mores!
III HÖFLING: Wo ist das strenge Purpurornat unserer Vorväter?
I HÖFLING: Wenn getanzt werden soll, werden auch wir tanzen. Man muss sich immer an die Machthaber halten.
(Er beginnt, ungelenk zu hüpfen, bis ihn die anderen davon abhalten. In dem Moment werden sie von Diokletian bemerkt, der sich plötzlich beruhigt, seine Kleidung ordnet und sich majestätisch neben dem Thron aufstellt. Der Sänger setzt das „Tanzen“ noch eine Weile fort, doch dann hört auch er auf und stellt sich neben dem Kaiser auf.)
II HÖFLING: (vorwurfsvoll) Diokletian, du solltest lieber an die Staatsgeschäfte denken.
III HÖFLING: Dem Volk geht es viel zu gut, es wird langsam ungehorsam. Man sollte ihm nicht auch noch ein schlechtes Beispiel liefern.
II HÖFLING: Man sollte sich Gedanken darüber machen, wie man sie beschäftigen soll, Diokletian. Entweder Krieg führen oder hungern.
III HÖFLING: Man muss die Steuern erhöhen. Und die Gesetze verschärfen.
I HÖFLING: Dem einen oder anderen sollte man den Kopf abhacken.
III HÖFLING: Wenn das Volk nichts hat, wogegen es sich auflehnen könnte, wird es gegen die Macht aufbegehren. Wenn das Volk nichts hat, wogegen es sich auflehnen könnte, wird es fremde Sprachen lernen.
I HÖFLING: Wenn das Volk nichts hat, wogegen es sich auflehnen könnte, wirst du niemanden köpfen können.
II HÖFLING: Man müsste es besonders jetzt im Zaum halten, nach dieser triumphalen Parade. Das Volk hat sich gratis den Bauch vollgeschlagen, ist träge geworden, hat den Gürtel locker geschnallt.
III HÖFLING: Und unsere innere Lage!
I HÖFLING: Und die internationale Lage!
DIOKLETIAN: Natürlich, ihr Weisen, natürlich. Macht es so. Ich glaube, dass eure Vorschläge wie immer durchdacht und vernünftig sind, sodass sie jeder Imperator annehmen würde.
Die Ausführung, all das, das alles überlasse ich euch!
SÄNGER: Was zeigt, dass wir in diesem Augenblick nicht übertrieben vernünftig sind.
DIOKLETIAN: Und ich? Ihr fragt, was mit mir ist? (Pause) Ich habe mich entschlossen, in Illyrien, meiner engeren Heimat, eine kleine Residenz für mich und für meine engsten und zuverlässigsten Mitarbeiter zu errichten…
HÖFLINGE: (sich gegenseitig schubsend und in den Vordergrund drängend) Wir sind alle deine engsten und zuverlässigsten…
DIOKLETIAN: (hält sie mit ausgestreckter Hand auf) … und dort in Ruhe bei Gesang und Meditation die letzten Jahre meines Lebens zu verbringen. Ich bitte euch, – wie ihr seht, bitte ich euch und befehle nicht -, kümmert euch um alle nötigen Kleinigkeiten wie Bau, Pläne, Architekten… Was war da noch?… Ach, immer diese Probleme! Lassen wir die Probleme! Meine Herren, ich schlage vor, wir beschäftigen uns mit angenehmen Gesprächen, schönen Träumen, mit Trauben und Wein. (Er nimmt die Trauben von der Platte, reicht jedem Höfling eine Ranke. Sie essen. Pause.)
I HÖFLING: (zögernd) Die Idee ist fantastisch.
II HÖFLING: Angemessen.
III HÖFLING: Wie alle kaiserlichen Ideen zu sein pflegen.
(Während ihrer Unterhaltung gehen die Höflinge langsam zum Bühnenrand vor, wobei sie sich in größeren Abstand voreinander aufstellen, zum Publikum sprechend. Während ihrer Unterhaltung wenden sie sich nicht einander zu, sondern sprechen zum Publikum. Im Hintergrund flüstert Diokletian mit dem Sänger. Dabei essen sie die Trauben und zielen mit den Traubenkernen ab und zu auf die Höflinge.)
I HÖFLING: Es ist also wahr, dass er sich von der Macht verabschieden will.
II HÖFLING: Daran würde ich nicht glauben.
III HÖFLING: Ich kann es immer noch nicht glauben. Wer mit der Macht zu Mittag isst, der wird mit ihr auch zu Abend essen wollen.
I HÖFLING: Eine hirnverbrannte Idee, Kohl anbauen zu wollen. (In diesem Moment trifft ihn ein Traubenkern und er lacht sehr untertänig in Richtung Diokletians.)
II HÖFLING: Er würde Kohl anbauen, wenn es sich um Menschenköpfe handeln würde.
I HÖFLING: Ich will ihm nicht in die Illyrische Provinz folgen.
III HÖFLING: Brauchst du auch nicht, Rom ist ja selbst eine Provinz.
I HÖFLING: Die Sache ist gefährlich. Man müsste etwas unternehmen.
II HÖFLING: Wenn die Leute über Änderungen zu reden anfangen, wissen sie bald nicht, wo sie aufhören sollen.
III HÖFLING: Wenn einer auf die Macht verzichtet, könnte man auf die Idee kommen, dass die Macht nicht viel taugt, wenn man so leicht davon die Finger lässt.
II HÖFLING: Worauf man leicht verzichtet, ist auch leicht zu bekommen.
I HÖFLING: Jeder beginnt zu denken, er könne selbst Kaiser werden.
II HÖFLING: Dann hat man den Staat voll von Kaisern, aber ohne Untertanen.
III HÖFLING: Es ist leicht für den Kaiser, einfach so wegzugehen. Die Kaiser wechseln sich soundso ab, wir aber bleiben.
I HÖFLING: Man wird die ganze Schuld auf uns schieben.
II HÖFLING: Und unsere Verdienste?
III HÖFLING: Und unsere Erfahrung?
HÖFLINGE: (im Chor) Und die römische Tradition?! (Sie drehen sich um und gehen auf Kaiser und Sänger zu.)
II HÖFLING: (mit veränderter Stimme) Natürlich ist das, wie ich sagen würde, nur eine Idee. Sehr interessant, aber doch nur eine Idee. Man müsste sie ausbauen.
III HÖFLING: Sie nach unseren spezifischen Verhältnissen modifizieren. Sie in Raum und Zeit ansiedeln. Hier und jetzt.
DIOKLETIAN: Modifizieren?
I HÖFLING: Nach der neuesten Mode ausrichten.
II HÖFLING: Man müsste darüber nachdenken, wie diese neue Residenz aussehen soll. Fachleute hinzuziehen. Einen Kostenvoranschlag erstellen.
DIOKLETIAN: Ach, nein, nein. An so etwas habe ich gar keinen Gedanken verschwendet. Ich hatte vor, lediglich ein kleines, einfachen Steinhäuschen am Meeresufer zu errichten, so wie meine Eltern eines hatten.
II HÖFLING: Auch um ein kleines Häuschen herum können große Probleme entstehen.
III HÖFLING: Man muss jede Angelegenheit studienmäßig angehen.
I HÖFLING: Ach was! Wir werden doch wohl eine Bauernhütte nicht (spöttisch) studienmäßig errichten.
II HÖFLING: Diese Residenz soll je für dich sein, Diokletian, also muss sie deinen Ansprüchen angepasst werden.
DIOKLETIAN: Richtig, ja, aber natürlich…
II HÖFLING: (unterbricht ihn abrupt) Und da du der größte und mächtigste Kaiser auf der Welt bist, muss das für dich gebaute Haus das größte und prunkvollste auf der Welt werden.
DIOKLETIAN: Aber…
III HÖFLING: Nachdem das gesamte Kaiserreich mit all seinen Untertanen dir gehört, muss dein Palast das auch ausdrücken.
DIOKLETIAN: Aber ich habe nicht…
II HÖFLING: Darin muss Platz sein für deine Diener, für deine Kutschen und Kutscher, für die Wachen und das Gefolge, für den Hof und die Höflinge.
III HÖFLING: Und da du die gesamte Welt beherrschst…
II HÖFLING: … dann ist der Kaiser selbst und Welt und die Welt der Kaiser.
III HÖFLING: Damit also in diesem Palast Platz ist für den Kaiser, muss er folglich so groß sein wie die ganze Welt.
I HÖFLING: Größer als die Welt.
III HÖFLING: (ganz euphorisch) Du wirst, oh mein Kaiser, einen Palast errichten, größer als die ganze Welt, besser als die ganze Welt und schöner als die ganze Welt. Dieser Palast wird die ganze Welt umfassen.
II HÖFLING: Du wirst eine ganze Welt errichten! Eine neue Welt!
III HÖFLING: Eine wunderbare neue Welt!
II HÖFLING: Mit hohen Zinnen und tiefen Kellern.
III HÖFLING: Mit dicken Festungstürmen und dicken Mauern.
II HÖFLING: (in höchster Verzückung) Du wirst über das Meere, über das Festland und die Luft herrschen.
ALLE DREI HÖFLINGE: (singen)
Schöne Welt, wunderschöne neue Welt!
Neu und schön wird sie sein, dass sie allen gefällt!
I HÖFLING: (wieder vernünftig) Ein kleinerer Palast geziemt dir eigentlich nicht, Diokletian.
DIOKLETIAN: Aber ich werde nicht mehr…
I HÖFLING: (unterbricht ihn) Stell dir nur mal vor, was die Leute sagen würden.
DIOKLETIAN: Die Leute reden immer.
I HÖFLING: Stell dir nur mal vor, wie unsere Feinde das deuten würden.
DIOKLETIAN: Haben wir denn immer noch irgendwelche Feinde?
I HÖFLING: Wenn wir keine haben sollten, muss man sie erfinden.
SÄNGER: (springt plötzlich auf) Hey, Leute! Was für ein Palast denn! Bei alledem, was wir wirklich brauchen, wozu da so ein Riesengebäude, das die halbe Welt umfasst?
II HÖFLING: (belehrend) Die ganze Welt, bitte sehr.
SÄNGER: Kann die Welt denn nicht schön sein, so wie sie ist?
III HÖFLING: Die Welt ist nie so, wie sie ist, sondern so, wie die Visionäre sie in der Zukunft sehen.
SÄNGER: (winkt resignierend ab) Es wäre besser, ihr würdet meinen Lohn erhöhen.
I HÖFLING: Schweig! Der Kaiser hat vom Palast gesprochen, nicht von deinem Lohn.
SÄNGER: (verzweifelt) Diokletian!!
DIOKLETIAN: Was ist denn, Sänger?
SÄNGER: Was wird aus dem Weinberg und den Weinreben über dem Eingang?
II HÖFLING: (im geschäftlichen Tonfall) Natürlich werden wir beim Bau Investitionen für die Errichtung von Parks und anderen Erholungsstätten vorsehen.
SÄNGER: (leiser) Was wird aus dem einfachen Holztisch vor dem Haus?
III HÖFLING: Der Bau eines Festsaals für Bankette ist natürlich von größter Bedeutung…
SÄNGER: (resignierend) Was wird mit den gemütlichen Abenden mit Gesang und Meditation?
I HÖFLING: (hakt den Kaiser unter und führt ihn zum Ausgang, der III. Höfling schließt sich ihnen an) Natürlich werden wir Empfänge veranstalten, wenn es sein muss auch mit Musik…
III HÖFLING: … und was die Meditationen angeht, wird das eine Reihe von Fachleuten, sprich Philosophen ganz professionell übernehmen…
SÄNGER: (ruft hinterher) Diokletian…
DIOKLETIAN: (zerstreut) Was ist denn? Was ist denn?
SÄNGER: Wolltest du so einen Palast, Diokletian?
DIOKLETIAN: (hält inne, löst sich von den Höflingen und steht zwischen ihnen und dem Sänger. Plötzlich explodiert er.) Lass mich in Ruhe! Lasst mich alle in Ruhe! Alle, alle!
(Er verlässt die Bühne, die beiden Höflinge folgen ihm. Sänger und II. Höfling bleiben. Der Sänger intoniert eine melancholische Melodie auf der Laute.)
SÄNGER: Vorwärts Diokletian,
zum Gipfel ziehe los,
aber wehe, was dir da droht,
das wird wohl auch mein Los.
II HÖFLING: Warum so traurig, Sänger?
SÄNGER: Weil auch Kaiser Menschen sind.
II HÖFLING:Was soll das bedeuten?
SÄNGER: Sie sind eine Mischung aus etwas Großem und etwas Lächerlichem. Was die Größe angeht, bedenke nur, über wen Kaiser alles herrschen: über das Leben von Menschen, über das gesamte Reich. Wenn man aber bedenkt, in was für Händen sich diese Herrschaft befindet, nämlich in ohnmächtigen, menschlichen, sterblichen Händen, dann ist das mehr als lächerlich. Vielleicht sind die Götter selbst ebenso lächerlich.
II HÖFLING: Dazu sind wir ja da, dass weder bei den Kaisern noch bei den Göttern das Lächerliche die Oberhand gewinnt. (in einem anderen Tonfall) Im Übrigen würde ich auch dir raten, dass du in diesen Momenten, da das ganze Reich und das ganze Volk alles von sich gibt, um den majestätischsten und monumentalsten Palast aller Zeiten zu errichten, den auch die künftige Generationen bewundern werden, dass du etwas konstruktiver zu singen anfängst. Du bist ein bisschen neben der Kappe, Grieche. Das könnte dich teuer zu stehen kommen.
(Geht ab; Vorhang)