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Das Leben und das Werk von Ivan Golub (1930–2018) bietet ein seltenes Beispiel für eine harmonische Durchdringung zahlreicher Unterschiede. Zeit seines Lebens war er nämlich mit gleichem Erflog als Priester, Schriftsteller und Wissenschaftler tätig, d.h. Phantasie, Vernunft und Glaube trafen in seinen Werken erfolgreich aufeinander. Obwohl er bekannter Schriftsteller und Universitätsprofessor, Gewinner renommierter Preise und Mitglied renommierter Akademien war, blieb er für den Rest seines Lebens ein „gewöhnlicher Mensch“, wie er auch seine Autobiographie betitelte. Er drückte dies auch im gleichnamigen Gedicht aus:
„Ich bin ein gewöhnlicher Mensch
werde aber
für einen ungewöhnlichen gehalten
Alle wollen ungewöhnlich sein
Und deshalb ist der gewöhnliche Mensch
dermaßen selten
dass er ungewöhnlich ist“
Stets war er direkt, offen für Gespräche, bereit für Unterstützung und ein freundliches Wort, und er widmete seinen Gesprächspartnern, Kollegen, Freunden, Bekannten oder zufälligen Passanten immer seine volle Aufmerksamkeit, sei dieser ein sog. gewöhnlicher Mensch oder aber gesellschaftlicher oder kirchlicher Würdenträger (und er kannte Staatsmänner, Päpste, Bischöfe, prominente Künstler und Wissenschaftler). In diesem Sinne war er ein seltenes Beispiel für einen Menschen, dessen intellektuelle und künstlerische Größe proportional zu seiner menschlichen Bescheidenheit, Einfachheit und Freundlichkeit war.
Aus der Heimat in die Welt
In seinen autobiografischen Schriften notierte er, er habe, wann immer Verleger, Journalisten oder andere nach seinem Lebenslauf verlangten, stets darauf hingewiesen, es könne aus diesem alles herausgenommen werden, mit Ausnahme eines Satzes, der lautet: „Ivan Golub kam am 21. Juni 1930 in Kalinovac, Podravina, als fünfzehntes und jüngstes Kind von Luka Golub aus Kalinovac und Bara Golub, geborene Kovač, aus Sirova Katalena zur Welt.“ Alle seine Titel, Bücher, Auszeichnungen und sonstigen Errungenschaften dürften weggelassen werden, mit Ausnahme des Satzes über seine Heimat und seine Familie. In seinem Gedicht Kalnovecer Gespräche (Kalnovečki razgovori, 1979) verfasste er emblematische, geradezu programmatische Verse über die Bedeutung der Herkunft des Menschen:
„Im Buche steht, Gott habe den Menschen aus Erde erschaffen.
Ja, aber aus jener Erde, auf der er geboren wurde.“
Nach beendeter Grundschule in seinem Heimatort Kalinovac, schloss er in Zagreb das Erzbischöfliche klassische Gymnasium und ebendort 1958. auch das Studium der Theologie an der Katholischen theologischen Fakultät ab. Nach seiner Priesterweihe (1957) war er für kurze Zeit in mehreren Pfarren tätig, schloss darauf aber als Zögling des Päpstlichen kroatischen Instituts des heiligen Hieronymus in Rom ein Doktorstudium der Theologie an der Päpstlichen Universität Gregoriana (1963), sowie ein Magisterstudium in biblischen Wissenschaften am Päpstlichen biblischen Institut (1964) ab.
Im selben Jahr, nach seiner Rückkehr nach Kroatien, begann er seine Lehrtätigkeit an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Zagreb, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2000 beschäftigt war. Ein Jahr später wurde ihm der Ehrentitel emeritierter Professor verliehen. Neben der Lehretätigkeit und Betreuung von Abschluss- und Doktorarbeiten gründete und redigierte er Zeitschriften und Verlagsreihen, initiierte und leitete Forschungseinheiten und bekleidete verschiedene leitende Ämter, bis auf jenes des Dekans, das er trotz seiner Wahl nicht annehmen wollte. Als Gastprofessor war er seit 1984 auch am Päpstlichen Orientalischen Institut in Rom tätig und hielt Vorlesungen an einigen der renommiertesten Universitäten der Welt (Harvard, Yale, Columbia, Heidelberg etc.).
Poetische Theologie und Kulturgeschichte
In seiner Lehrtätigkeit und wissenschaftlichen Arbeit beschäftigte er sich hauptsächlich mit dogmatischer Anthropologie sowie theologischer Ikonologie und Charitologie. Am bekanntesten sind seine Thesen über den Menschen als Bild Gottes, die nicht nur die Gegenwart des Menschen und Gottes, sondern auch ihre gegenseitige Nähe betonen (so etwas in seinen Büchern Der Mensch zuerst / Najprije čovjek, Ein Freund Gottes / Prijatelj Božji, Das Geschenk des Sechsten Tages / Dar dana šestoga usw.). Seine Thesen über den Spielenden Gott (Deus Ludens) und den Lachenden Gott (Deus Ridens) erfreuen sich breiter Akzeptanz – seine Vorstellung von „Golubs Gott“, wie ich sie als Laie verstehe, bezieht sich auf keine abstrakte Figur, die im Himmel waltet, sondern eher als ein lächelnden, dem Menschen wohlgesinnten, freundlichen Wetbegleiter. Oft pflegten (Un)Gläubige zu sagen, sie möchten selbst einen solchen Gott haben, worauf Golub zu antworten wusste, sie hätten ihn und müssten ihn nur in ihr Leben lassen, weil Gott eine Frage der Wahl ist – er ist es „Auserwählte Nähe“, so auch der Titel eines seiner besten Lyrikbände. Neben zahlreichen Artikeln wurden zwei Doktorarbeiten zu seinen theologischen Thesen in Rom (Anton Tamarut, 1994) und Wien (Werner Gruber, 1998) verteidigt. Unter Golubs theologischen Werken sticht das Buch Das Geschenk des sechsten Tages (1999) hervor, das eine Art Synthese seiner wichtigsten theologischen Thesen darstellt. Es kommt darin jedoch zu einer Verflechtung des theologischen und literarischen Diskurses, sodass dieses Buch das ausdrucksstärkste Beispiel für Golubs poetische Theologie darstellt:
„Ist vom Wort die Rede, fällte es nicht leicht, das Wort zu finden. Es fällt nicht leicht, denn das Wort ist ein Geheimnis. Ich weiß nicht, wie der erste Mensch sich fühlte, nachdem er das erste Wort ausgesprochen hatte. Wahrscheinlich war er davon befangen. Und diese Befangenheit bleibt bestehen. Was sie mindert, ist die Überflutung durch viele Wörter, eine Inflation der Wörter. Diese Inflation, vielleicht die größte, von der unsere Zeit betroffen ist, hat das Gefühl der Verwunderung vor dem Wort abgestumpft. Das Wort aber ist eines der größten Wunder. Durch das Wort tritt der Mensch aus dem Geheimnis heraus, aus sich selbst, er tritt vor das Geheimnis, vor den Anderen. Ob dieser Andere nun ein anderer Mensch ist oder Gott.“
Außer mit theologische, befasste sich Golub auch mit historischen Themen. In diesem Zusammenhang beschäftigte er sich am intensivsten mit dem Leben und dem Werk Juraj Križanićs, jenes kroatischen Polyhistors aus dem siebzehnten Jahrhundert, der nicht nur Vorläufer der Annäherung zwischen dem christlichen Osten und Westen war, sondern auch der Gemeinschaft der Slawen. Über ihn veröffentlichte er in Kroatien und im Ausland mehrere Bücher (Das Slawentum des Juraj Križanić, Križanić usw.) und Artikel, die meisten davon mit bis dahin unbekannten Fakten, wodurch er sich als einer der weltweit bedeutendsten „Križanićologen“ behaupten konnte. Auch widmete er ihm mehrere lyrische und biographische Arbeiten. Unter Golubs Križanić gewidmeten Werken ragt besonders das Buch Križanić (1987) hervor, das eine Art Synthese seiner Forschung darstellt. Neben wissenschaftlicher Akribie enthält das Buch aber auch literarisierte Gedanken und Passagen, sodass es zugleich eine Art literarischer Biographie, beziehungsweise eine interessante Kreuzung literarischen und wissenschaftlichen Diskurses darstellt. Golub verfasste eine umfangreiche, wissenschaftlich fundierte Biographie Križanićs, betrachtet ihn aber auch als Menschen, als Freund, nannte ihn einen Propheten und Mystiker, vor allem aber eine polyphone Persönlichkeit:
„Ob Križanić Musikstücke komponierte, das wissen wir nicht. Wahrscheinlich tat er es – aber sein gesamtes Leben war eine Bemühung um Harmonie – also, um Komposition: eine Bemühung um Harmonie zwischen den Slawen, Harmonie zwischen Moskau und Tom, Harmonie der Welt und Harmonie in sich selbst. Križanićs Person ist eine barocke polyphone Komposition.“
Außer mit Križanić, befasste sich Golub auch intensiv mit einer Reihe weiterer bedeutender kroatischer Künstler und Intellektueller des siebzehnten Jahrhunderts, etwas mit dem Maler Julije Klović, dem Polyhistor Ivan Paštrića, einem weiteren Proto-Ökumenisten Marko Antun de Dominis, dem Sprachwissenschaftler Bartol Kašić usw. Er verfasste breit akzeptierte und mehrfach herausgegebene populär-geistige Bücher (Die Sehnsucht nach dem Gesicht oder Wie Freude erlangen / Čežnja za licem ili kako do radosti, Das Gesicht des Freundes / Lice prijatelja usw.). Auch war er einer der Übersetzer der modernen kroatischen Bibel (1968).
Lyrische Polyphonie
Obwohl er seine ersten literarischen Arbeiten bereits in den fünfziger Jahren verfasst hatte, veröffentlichte er – in Anbetracht des Priestern keineswegs zugeneigten kommunistischen Systems – seinen ersten eigenständigen literarischen Band erst 1979. Dies waren die bereits erwähnten Kalnovecer Gespräche. In diesem im kajkavischen Dialekt verfassten Poem berichtete er durch Reflexionen des Jungen Ivica und Gespräche zwischen scheinbar simplen Einheimischen über Begebenheiten und Personen aus Ivicas Leben. Eigentlich gab er aber Antworten auf einige der wichtigsten und komplexesten Fragen des Lebens:
„Ist es doch am Schönsten,
dass der Mensch sich
ändern kann,
fluchen und beten,
singen und weinen.
Gehen wir doch alle vorüber –
der eine so, der andere so,
der eine heute, der andere morgen.
In diesem Sinne ist das gesamte Gedicht nicht nur ein Lobgesang auf die Heimat, sondern auch auf sogenannte kleine und gewöhnliche Menschen und ihr bodenständiges Lebensverständnis. Aufgrund einer solchen Verschmelzung von Folklore und Philosophie, beziehungsweise Lokalem und Universellem, sowie aufgrund seiner polyphonen Struktur, ist Kalnovecer Gespräche eines der wichtigsten kajkavischen literarischen Werke, das auch im allgemeinen kroatischen literarischen Kanon einen bedeutenden Platz einnimmt.
Kajkavische Gedichte mit heimatlicher Thematik schrieb Golub auch später, den Hauptteil seines literarischen Werks bilden jedoch in der Standardsprache verfasste Gedichte, die er in einem Dutzend von Lyrikbänden veröffentlichte (Izabrana blizina / Auserwählte Nähe, Augen / Oči, Der Säer der Freude / Sijač radosti, Tränen und Sterne / Suze i zvijezde usw.). Neben einer Fülle von autobiographischen Elementen behandelt Golub in diesen Versen ähnliche Themen, wie auch in seinen theologischen Werken. Umgekehrt, finden dichterische Imagination und lyrischer Ausdruck nicht selten auch Einlass in seine theologischen Schriften. Aus diesem Grund wird Golub oft auch der größte Dichter unter den Theologen, beziehungsweise der größte Theologe unter den Dichtern genannt:
Ich betrachtete die Sterne, als ich über den Hof ging.
Mein Blick traf auf Gott.
Jetzt weiß ich, warum ich
jedes Mal, wenn ich Sterne betrachte,
Gott sehe.
Die Sterne sind die Augen Gottes.
Und noch etwas.
Jetzt weiß ich, warum ich
jeses Mal, wenn ich in Augen schaue,
Gott antreffe.
Augen sind die Sterne Gottes.
(Augen)
Auf jeden Fall weicht Ivan Golubs Poesie, obwohl von christlicher Spiritualität und biblischer Intertextualität durchdrungen, sowohl in ihrer kommunikativen als auch in ihrer antidogmatischen Natur deutlich von der normativen und einseitig religiösen Lyrik ab, was sie zu einem seltenen Beispiel für spirituell inspirierte Literatur macht, die von Theologen und Laien, Gläubigen und jenen, die es nicht sind, akzeptiert wird. Die Gründe dafür liegen darin, dass Golubs Lyrik in gewisser Hinsicht kirchenkritisch war, beziehungsweise darin, dass sie sowohl den Glauben als auch Gott – und insbesondere den Menschen – als ein ständiges Spiel zwischen Sternen und Tränen oder Licht und Schatten sieht und zugleich erkennt, dass beides nicht nur unvermeidlich, sondern notwendig ist. In diesem Sinne ist Golub nicht nur einer der wichtigsten und anerkanntesten kroatischen Dichter spiritueller Inspiration, sondern nimmt auch einen besonderen Platz in der (zeitgenössischen) kroatischen Literatur ein. Als einer der letzten kroatischen Latinisten, verfasste er auch in lateinischer Sprache Gedichte (so etwa im Lyrikband Das Gesicht der Einsamkeit / Lice osame, Ultima solitudo personae, 1997). Ebenso ist er Autor einiger Szenarien. Einige seiner Gedichte wurden auch vertont.
Die Tatsache, dass Golubs (literarische) Werke allgemein anerkannt sind, zeigt sich daran, dass seine Bücher hauptsächlich von weltlichen Verlagen veröffentlicht wurden, und zwar einigen der renommiertesten im kroatischen Kontext, sowie dass prominente kroatische und ausländische Wissenschaftler Texte über ihn verfassten. Er wurde auch in zahlreiche Übersichten und Anthologien der kroatischen Literatur, sowie lexikographische Werke aufgenommen. Viele seiner literarischen Werke wurden in Fremdsprachen übersetzt und teilweise mehrfach veröffentlicht. Bis heute sind drei Auswahlen aus seinem Werk erschienen (Gesammelte Nähe / Sabrana blizina, Licht und Schatten / Svjetko i sjena – Lumo kaj ombro, sowie Der Mansch als Ebenbild und Freund Gottes / Čovjek slika i prijatelj Božji – Homo imago et amicus Die, 1991).
Ein großer und gewöhnlicher Mensch
Golub wurden auch zahlreiche renommierte Preise und Auszeichnungen verliehen, etwa der Staatspreis für Literatur Vladimir Nazor (1994), der Preis der Stadt Zagreb für sein Lebenswerk (2018) usw. Seine internationale wissenschaftliche und literarische Bedeutung zeigt sich darin, dass er korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, sowie der Literarischen Akademie Arcadia in Rom war. Ferner war er assoziiertes Mitglied der Päpstlichen Akademie Tiberina in Rom etc. Als international anerkannter Theologe war er von 1992 bis 1997 auch Mitglied der Internationalen Theologischen Kommission im Vatikan. Als Priester – was er als seine wichtigste Berufung ansah – feierte er 2017 seine diamantene Messe (60 Jahre Priestertum). Bei aller kirchlichen Verbundenheit war er aber auch offen für Dialoge über alles und mit jedem, was nicht nur durch sein Engagement in zahlreichen kulturellen und wissenschaftlichen Organisationen, Veranstaltungen und Projekten, sondern auch durch zahlreiche Freundschaften mit prominenten Künstlern und Wissenschaftlern belegt bleibt.
Viele seiner weiteren Leistungen könnten hier noch erwähnt werden, ich bin aber der Ansicht, dass dieser unvollständige, skizzenhafte Überblick klar bezeugt, dass Ivan Golub zu den wichtigsten kroatischen Theologen, Intellektuellen und Schriftstellern der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts gehört.
Übersetzung aus dem Kroatischen: Boris Perić