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Am offenen Grabe, o trauerndes Chor
„Am offenen Grabe, o trauerndes Chor, brennen meine Tränen heiß, wie nie zuvor.
Zum ewigen Leben, zum himmlischen Tor, zu Sonnen und Sternen, manchem Meteor,
rief die Vorsehung eines unsrer Talente empor.
Ich klage vergebens, doch leiht mir euer Ohr
und lasset uns erkennen, o trauerndes Chor:
Dass Gewürm wir nur sind im relativ dunklen irdischen Moor.“
„Über diesem Sarg, unsrer nationalen Katastrophe –
Herrschaften, nur keine Phrasen – aufrichtig bedauern wir diesen Verlust! –
der da liegt, den nährte Euterpe höchst selbst an ihrer Brust,
worauf uns das Schicksal seiner beraubte, zu tragischer Stunde just.
Vor dem lieben Verblichenen, in Angesicht unserer Kulturkatastrophe,
bitte ich nun, das Haupt zu senken vor der letzten Strophe.“
„Jung schied er dahin, doch fiel er mit dem Banner in der Hand,
dieser Hüter ewiger Schönheit, unsres nackten, blauen Ideals!
Keinen Augenblick lang kniend vor dem Götzenbild des Baals,
nicht ehrte er den Mammon, nicht pries er das goldene Lamm!
Ein Leuchtturm in der Finsternis,
engelhaft heiter, unbefleckt von Schlamm.
Senkt eure Zylinder, o ihr Bestatter; im Namen unserer Elite,
unserer Gesellschaft und unseres Feuerwehrvereins
verbeuge ich mich vor diesem toten Vertreter literarischen Seins.“
Zylinder, Regenschirme, Trauer, dazu ein Sarg im Kot.
Galoschen, Kränze, Totengräber. Ein Regen, herbstlich fein.
Über bleicher Narrenleiche aus Rhythmus, Vers und Reim,
verhöhnt ein Menschenfresser des Dichters frühen Tod.
Am offenen Grabe, o trauerndes Chor,
Nashorngleich, sehet, bewegt er sich träge!
Dieser Werwolfsrüssel, dieses unsagbar schräge
Tapirgesicht,
seine Visitenkarte voller Gewicht;
wie ein Heiligenschein führt sein Doktordiplom
hinters Licht so manchen taubstummen Gnom.
Er ist einer der Seinigen, sie sind es nicht!
Des Volkes Stolz und Patriot, vorbildlicher Gatte, Chef,
indes die Gnomen G’spritzte trinken: Karo, Pick und Treff,
und alles klingt ermattend, nur platt‘ Gesang, Gesöff!
Ein inhaltslos‘ Bestattungslied, ein Vaterunser, Asche,
nur Wermut, Nikotin, vergiftet‘ Glas als Masche,
und unsre schöne, liebe immer volle Flasche…
Am offenem Grabe, o trauerndes Chor:
dieser Mensch ist kein Mensch, nur ein Butt,
der sich da mästet an Lyrik und Ersaufen.
In unsrem Morast, dem gesichtslosen Haufen,
ein fauler Wassermann in schlammiger Flut,
der mit heuchelnden Tränen Talente bedauert,
wie ein altes Huhn uns blickend belauert,
am offenen Grabe Schatten nachtrauert:
als Hüter „unsrer blauen Ideale“ erkor
er den Schönheitsbegriff zum Friedhofshumor.
Der unser Land, in Reinheit geeinigt,
als Schöngeist „mit ewiger Schönheit reinigt
von Sündenpfuhlen und fleischlichen Fallen“,
am offenen Grabe, wo soeben das letzte Opfer gefallen,
sein Zylinderhut, seine hehre Trauer,
garantieren uns pur, dass dieser Augur,
dies‘ Mitglied aller Gerichte von Dauer,
nicht zulassen wird, dass die höllische Nacht
unser Buch überwuchert
mit Materialismus und destruktiver baalscher Macht.
Am offenen Grabe, o trauerndes Chor,
suhlt er sich in seiner Berufung Überschwang,
jetzt, da des Todes endgültiger Zwang
eines unsrer Talente rief zu sich empor
„zur Ewigkeit, zum Sternenlicht, zu manchem Meteor“,
macht am Sarge er höllische Albträume vor
den Gnomen in „der Seinigen“ murmelndem Tenor,
vor pathetischem Fackel- und Flammendekor
lügt er, wie alte Huren schon lügen,
wenn sie ihre Freier um Jungfernschaft betrügen.
Widerkäut Lügen, wie ein Papagei sein Alter,
verpestet unsre Quellen grausam und zynisch,
alle Sünden und Wunden stinken gar klinisch!
Und niemand ist da, um zu sagen ihm: Alter,
marsch ins Vergessen, ins Nichts seist du gekrochen,
gibt’s doch kein Rückgrat, das noch nicht gebrochen,
und auch keine Schnauze, die’s noch nicht gerochen:
ein Spucknapf zu sein unsrer Regel, gesprochen:
Dass Nullen uns führen Buch, Zeitung und Meinung,
der Dummheit, gigantisch, wie Dolomitengestein und
wer weniger bedeutet, hat höheren Seinsgrund!
Und niemand ist da, um diesem Aasgeier,
dieser Säule der Gesellschaft, journalistischer Leier,
diesem Patrioten, unser aller Mäzen,
am offenen Grabe den Strick gar zu dreh‘n,
in stinkender Jauche ihn röcheln zu seh‘n.
Ja, stach nicht dieser Werwolf seine finsteren Fänge
unsrem Talent in sein fiebernd‘ Gehänge?
Ja trieb nicht dieser Werwolf, was menschlich noch klänge,
für etwas Zeitungssilber uns in die Enge?
Ist denn nicht der, den fremder Schiffsbruch erregt,
derselbe, der fremde Wechsel in der Tasche trägt?
Genussvoll die Träne im Auge erwägt
und es liebt, wenn Talente vor ihm niederknien,
nachdem er sein Wort als Memento geschrien:
„Eure Schwindsucht ist unheilbar, euer Tag ist um,
am Friedhof geht unter in schlammigem Dung
euer Talent (das ich nicht teile) vergebens und stumm?
Schweinisch ist das Leben, abscheulich und krumm.
Verzweifelt‘ Raunen liebt er, der Witwen Geschrei,
dahinschmelzende Charaktere sind ihm einerlei,
Hundslügen bei Fuß, die sehnt er sich herbei,
und nun lügt er schamlos am offenen Grabe,
am Sarge des Talents sein falsches Gehabe:
nur Lorbeer und Genien, unsterblich sei die Gabe.
Er folgt den Talenten zum ewigen Gericht,
sagt: „Euer Talent, es lohnte sich doch nicht“,
denn „himmlisches Talent“ fällt nicht ins Gewicht.
So weint er und wehklagt, und schlägt sich an die Brust,
beweint wie von Sinnen des Volkes Verlust.
Affengleich klimmt er die Phrase verstohlen,
und niemand ist da, ihn herunterzuholen.
Dieser zahnlose Mund, billig‘ Tabakersatz,
dieses stinkende Loch, dieser rauchende Mief,
ist tierisches Maul nur, gar schweinisch und tief,
da redet er süßlich, wie des süßen Janos Satz!
Dieser stinkende Klumpen, voll Missgunst und Neid,
dieser Abgrund an Wissen, Entzückung und Kraft,
diese offene Wunde, die Schande nur schafft,
diese Nashornstimme, unsres Übels vor allem,
überm Schädel, der hier gerade gefallen
als Opfer unsres „ewigen Ideals“
heult er die „geheim-schöne Konfession des Grals“,
die Negation von Wissen, Weisheit und Talent!
Wo Seuche sich regt, da schluchzt er und flennt,
die Spur dieses Nashorns – des Übels Monument.
So grunzt er und stinkt und druckt Zeitungsfahnen,
„unser Vater“ und „Stütze“ und „Ehre unsrer Ahnen“!
„Unser vorbildlich‘ Banner“, „unsrer Idee fester Anker“!
O Aas du, o Hydra, Polyp geisteskranker,
dies‘ fluchend‘ Gedicht voll Verachtung und Ekel
widme ich dir als Grab-Menetekel,
um jeden Vorbeigehenden sengend zu stechen,
über lebendem Grabe als Mahnung zu sprechen
dieses unsres Zustands, als graue Schufte
nächtelang taten über unsrem Buche zechen,
als hirnloser Sätze dümmliches Joch
uns alle wie lästige Wanzen bekroch!
(1934, 1937, 1969)
Heiligabend
Für Julije Benešić
Der Christ der Armen erscheint im weihnachtlichen Liter
in feuchten Bierkellern, zu brüchiger Zither,
während zu vornehmen, reichen, hohen Tieren
steigt herab er im Smoking, mit feinsten Manieren.
Der Christ der Armen flucht bei kärglicher Zehrung,
bei sieben Grad minus, in passiver Empörung,
indes als feiner Herr die Reichen er beschert
zu Grammophonklängen,
zu frohlockenden Gesängen,
und allseits hoch geachtet und verehrt.
In warmen Weihnachtssalons das Tanzbein er schwingt,
während ihn der Arme beim Fuselbrand besingt.
In der Variante des Glücks als allseits beliebter
Geschenkartikel aus Kristall, Seide und Silber,
aus Schlangen- oder Krokodilleder,
womöglich gar aus gehäutetem Zebra.
In der Variante des Elends hungernd-siechendes Fieber,
ein besoffener, blutiger Schlag ins Gesicht,
Nussschale, faulender Apfel, mehr nicht,
trunkener Mägde Gesang, Mollusken, süß erpicht,
die da am Grunde der Lebensmisere
von Rom her bis heute sich erstrecken
und Weihnachtslieder singen, den Doppelkopf zu wecken,
der für Arme und Reiche am Kreuze gleich tat verrecken,
den Hungrige und Satte als Schutzpatron entdecken,
dem die Einen und die Anderen die blutigen Füße lecken.
Für die Herrschaft wird er geboren als Symbol von Schönheit und Licht!
In niederen Gefilden aber, wo manchen
als richtigen Jesus das Licht der Welt erwischt,
in Ställen, beim Vieh, in Mist, Dung und Schmerzen,
im fahlen Scheine talg-gelblicher Kerzen,
dreht Christ, dieser seltsam-doppelgesichtige Gott,
seine Maske herum und kennt keine Not,
dass zum einen geweint wird, gewehklagt, gestöhnt,
zum andren getanzt wird, gesungen, gefrönt.
Den Reichen beschert er Parfüme, Seide und Zinsen,
während die Armen nothungern und winseln.
Ihm zu Ehren werden unverdrossen Feuerwerke abgeschossen,
Orangen und Bananen sollen wohlhabenden Gaumen munden.
Zu gleichen Ehren eitern aber auch Aussatz und blutige Wunden.
Und während so bei christlichen Reichen lange Jahre fröhlich verstreichen,
müssen die Armen zu Weihnachten schmachten,
sogar Sylvester tut sie verachten!
(1928, 1937, 1969)
Europa im Jahr neunzehnhundertzweiundvierzig
Nur in Versen ist auszusprechen,
was dieses gemeine, irresinnige Morden bedeutet,
das da dies tobende Europa
wie einen tollwütigen Hund zur Strecke gebracht,
auch heute ist alles nur Irrsinn, Angst und Nacht.
Aus Wacht und Wahn, aus Schlaf und Schein,
aus Wirren sind unsere Träume gewoben.
Es blutet der Verstand, wenn man tagträumt
im Lied des Morgens, unter dem Schleier des Tages,
und tagträumt so blutig in finsterem Keller
von Lampen und warmer menschlicher Stimme,
von etwas, was einst Gedanken
und würdevolle Verse man nannte!
Nur im Gedicht ist auszusprechen,
was Blick bedeutet und menschliche Augen,
menschliche, feuchte, schöne, stumme Augen,
zu Trauben geworden für stinkende Krähen,
so gibt es heute kein menschliches Auge,
das nicht wäre zerstochen vom blutigen Schnabel
dieses finsteren Aasteufels, der Hirne zerpflückt,
Vernunft wie krepierte Frösche zerreißt.
Wo sind sie hin, jene naiven, dummen,
längst vergangenen Tage, als wir es uns erträumten:
ein leopardengleich, schlangenhaft giftiges,
ein goldenes, seltsames, geheimnisvolles Europa?
O, jene prächtigen Tage, Träume von blauen Inseln,
vom Land der Statuen, der Sixtine und der Musik,
vom Lichte beudelairesker Morgenröten,
von der Magie, die Harfe wir nannten,
von Worten, die wie Planeten schweben,
von Bannern der Ehre und der Vernunft,
von Begriffen, so klar, wie das Glas
des Himmels, der da glänzt,
während der besternte Erdball im Strom
einer stillen, ruhigen Lyrik treibt
und in uns erschallt, im Kreislauf,
im Puls, in Nerven und bläulichen Adern,
im Fleische der Jugend, im seltsam toten Frühling,
verschluckt vom Brand des Pulvers,
vom Weh des Menschen, von Rauch und Donner
eines hirnlosen, schrecklichen, blinden Mordens.
Wo sind sie hin, jene glorreichen, toten Tage,
als uns in der Wüste des Geistes
wie flammende Zeichen den Weg erhellten
Erasmus, Jacopone, Hamlet, Silvije,
zu Oden und klingenden Madrigalen,
zu Ehren des ewigen Triumphs,
und als die Welt auf Brettern
strahlte im Lichte magnetischer Nadeln.
Wir Argonauten träumten damals den Traum,
von Dichtern noch menschliches Leben genannt.
Der Poet kann allem Sinn verleihen, durch Vernunft,
Symbole und Schauspielerei, durch Worte
den Rhythmus des Spiels vorzaubern, die Szene erhellen,
kann Drama erschaffen, das Krähen des Hahns,
Betrug, Gift, dunkle, abscheuliche Torheit,
Intrigen, Briefe, den Donner der Trommeln,
das Säbelgerassel, den Frühling der Menschheit
und den Herbst des Fleisches, das triste Grauen des Körpers,
Leichengesänge und graue Friedhofstrauer,
Vorhänge, Lorbeer, den Maskentanz des Todes,
den Schauder der Schönheit und den Fluch des Hirns,
wenn zitternde Klänge und seufzende Saiten
ersticken in Blut, in dunklem, venösem, finsterem menschlichem Blut.
Was kann der Blick uns sagen über Augen,
diese warmen, menschlichen Augen, verwundert
über der Bahre von allem, was Mensch man nannte?
Und was ist ein Körper? Was Wachen, was Bilder,
heute in allem, im Augenblick des Traums,
wenn Verstand erlischt und zirpt, wie die Lunte
zum Lied der Frühe im Schleier des Tages,
wenn angebrochene Sommermorgenröte
ächzt zu diesem Begräbnis in stiller Kantilene?
Dies dünne Gewebe stiller menschlicher Worte
zerfetzt vom Gebrüll der Kanonen,
eine verdammte Wolke schwarzen Pulvers
raucht aus dem Feuer des Weltenbrands,
so geht es uns, wie den Seiltänzern,
wenn an der Brandstädte des Zirkus sie weinen.
Mord, aberwitziger, banaler Mord!
Der Gorilla ist uns das Zeichen der Zeit,
Verbrechen: Maske dieses verrückten Balls,
im Triumph des Blutes, der Hymne der Brandstifter,
zur Feier dieses scharlachroten Wahnsinns,
und alles ist Wachen, Gespinst, Angst und Galgen.
Nicht eines, vierzig Tausend unserer Ideale blieben
abgeschlachtet auf der Todesstrecke der Wirklichkeit.
Und wovon wir geträumt hatten,
und was (vor Langem) nur in Versen gesagt werden konnte:
das geistreiche Schachspiel auf mathematischen Tafeln,
als das Florett des Geistes mit stilvollem Klirren
noch mehr bedeutete, als aller Purpur und alles Gold der Welt,
erwies sich als faulender Leichnam,
als Mumie, Aas und schlammiger Kadaver,
als Hülle sterblicher Lumpen, Lügen und Dummheit,
von Wert ist einzig des Gorillas Darm,
wenn aus dem Hintern Märsche er bläst!
Allein dieser Bäcker, der die Menschheit
sich als Braten zusammengebraten,
nagt heute noch am Skelett der Vernunft,
zum lauten Kichern bezahlter Schreiberlinge:
ein Triumpf des Mordens auf der Bestattung des Hirns.
Gestorben ist jemand! Aufgebahrt liegt er. Stille.
Vor uns im Schlaf eine wächserne Puppe.
Wächserne Puppe, die uns empfangen im Blute
von Vers und Reim, Schönheit, Wahrheit und Recht,
dabei war sie uns Mutter, ihre Muttergestalt,
ihr Mutterblick im Rauche des Traums,
rührt unser Herz: ein sterbender Schmetterling.
Dieser Schatten jemandes, der da gewesen
und unser und allen uns nahe und lieb,
und verschwunden, wie Traumgestalt und Hauch,
geheimnisvoll lebendig ist uns dieser Blick.
Europa liegt tot.
Auf diesem Begräbnis toter Menschlichkeit,
zu postumer Ehrung aus Kanonen und Brand,
wer Fortinbras nicht sein kann,
der soll es mit lautem Schweigen verlauten:
was zu sagen er hat den Generationen:
Dummheit hat uns mit Blut befleckt
und in diesem Blute ein Zug von Phantomen,
verrauchend, wie dunkler, höllischer Rauch!
– Wir sind heute nicht, was wir waren als Kinder,
naive, dumme, blinde lyrische Kinder;
eines wissen wir nur und zwar:
dass auch die Logik ihre Guillotine bereithält.
Dass auch die Logik ihre Guillotine bereithält,
dass der Weisheit das Recht auf Weisheit gebührt,
der Mensch aber kein Menageriefleisch ist
für Hunde und Hyänen, Ungeheuer und Bestien.
– Wir sind heute nicht, was wir waren als Kinder,
eines wissen wir heute und zwar:
dass Poesie weder Goldfischlein ist
im kristallenen Glas stiller lyrischer Zimmer,
noch süßer Wort-Weihrauch im Maule des Henkers.
Gewiss wird sich eines Tages ereignen,
was zu ereignen sich hat heute, morgen, jetzt,
wenn nicht heute – es ereignet sich morgen,
morgen oder heute, egal wo und wann,
egal wer und wie, warum, hier oder dort,
wo, wann, wer, er, du, ich, wir, sie,
es wird jemand treten gegen diesen verwesten Kürbis,
ausmachen die Lampen dieses irrwitzigen Festmahls,
denn die Würde der Verse ist weder hauch, noch rauch,
sondern die Klinge des Floretts im faulen Leib des Verbrechens.
(1953, 1969)
Herbstgedicht
Ein Unsichtbarer Jemand brachte den Herbst
ins nördliche Zimmer.
O, jetzt,
wo alles Farbe ist, Weinlese und Rebenduft,
wo der Gesang von Dingen und Tieren liegt in der Luft,
und die Toten vor Sehnsucht schreien in ihrem Grab,
brachte ein Unsichtbarer Jemand den Herbst
auf silbernem Tablett
ins Zimmer herab.
Trauben und Birnen, Äpfel und Feigen.
Sonnensaftlachen, die draußen sich zeigen,
und durchs Fenster ist zu hören,
wie aus des Tages seidenen Kleidern
Frauengesänge uns betören
und das Zwitschern der Vögel auf herbstlichen Zweigen.
(1918, 1969)
Der Tod des Karnevals
Es fallen alle Masken
in einen schwarzlackierten Kasten,
wo Könige, Schufte, Narren
ins Schwarze nur starren.
So schwingt der Geigen süßer Klang
durch Küsse-Flut und Weingesang,
bis Aschermittwoch trist und sacht
dem Karneval
den Garaus macht.
Es fallen alle Masken
in einen schwarzlackierten Kasten,
wo Könige, Schufte, Narren
ins Schwarze nur starren.
(1918, 1969)
In Erwartung
Wie des Neumonds flammender Bogen, wie Frauen in Erwartung, voll trauriger
Ahnung,
ahnen auch meine Gedanken in nebligem Schmerze Gott.
Schon kommt er daher: Schönheit, Vernunft und Frieden.
Lange schon empfange ich reine Boten in der Dämmerung.
Und es singt zu mir der erste Bote:
„Alle Dinge sind zu erwecken durch Schönheit,
dann erhalten sie Leben, singen und tanzen.
O, Schönheit, die in gelbem, siechendem Leichnam
das Feuer du zum Leben erweckst.“
Es singt der Bote der Vernunft:
„Du, Mensch, versinkst an des Übels tristem Hang,
errichtest Türme auf des nackten Schwertes Horn.
Lausche dem Lied der Sänger ohne Zorn,
die da singen den sonnigen Traumgesang.“
Und es singt der Bote des Friedens, und blaue Einsamkeit
umspielt meine Lider. So träume ich Gott, zum Warten bereit.
(1919, 1969)
Ein schwarzer, müder Nachmittag
Der Nachmittag ist heute schwarz und müde,
es finstert im Hof, ein trist-blau Schattenlicht,
der Speer meines Blicks an grauem Fels zerbricht.
An grauem Fels meines Blickes Speer zerbricht,
rußig, schwarz und traurig, bar jeder klaren Sicht.
Die Lampe rauscht und Vogelstimmen
stürzen krank ins Grab,
in müdem Zug die Abendstunden wimmern,
und Dunkel sinkt herab.
(1919, 1969)
Der Jerusalemer Dialog
– Ach so? Aus Nazareth kommt er her, der Geck?
– Aber ja. Da ist auch seine Tante, die Marktfrau dort am Eck.
– Und ich habe gehört, er sei so eine Art Bankert,
dem sein leiblicher Vater hier die Straßen kehrt.
– So viel ist gewiss, geboren wurde er im Stall;
überhaupt, seine Herkunft… das ist doch ein Skandal.
Seine Mutter stieg angeblich mit ’nem Greis in die Kiste.
Tja, gnädige Frau, wenn jemand das alles wüsste.
– Na ja. Und wie steht’s mit der Schule?
Hat er wenigstens das Maturaexamen?
– Ach was!
Gnädigste fragen wohl zum Spaß!
Woher hätte der ein Examen?
Bei helllichtem Tag
knutscht er rum mit Straßendamen!
Mit Tagedieben tut er saufen; und nachlaufen
tun ihm lauter Bettler, Blinde und Fischer,
der verdirbt noch unsre Jugend, so viel ist sicher.
Auch bei der Polizei es vor Anzeigen
gegen ihn nur so hagelt.
Passen Sie auf, gnädige Frau,
der Bengel wird ans Kreuz noch genagelt!
(1931, 1949, 1969)
Das Wort, die Mutter der Tat
Das Wort ist eine schwangere Frau, die Kolosse gebiert,
es winselt ihr Gedärm, ihr Leib voll Blut zerbricht,
im Wort blitz auf die Achse aller Dinge,
das Wort ist eine schwangere Frau
und die Tat,
dieser blutige Koloss
ist des Wortes Kind,
die riesige, granitene Tat,
die wie ein Vulkan die Finsternis zerreißt,
und antreibt die Sterne, wie Würfel auf einem Tablett,
diese Tat ist das Kind des Wortes,
des stillen, schmerzenden Wortes der schwangeren Frau,
die vor der Geburt gen Abend schmerzhaft wimmert.
(1919, 1969)
Wind in einer Novembernacht
Alle Schlüssellöcher sind voll Wind heute Nacht,
schwarze Windeskunde, aus dem Dunkel hergebracht,
letzte Nacht tat er noch Pinguine wecken
auf dunklen, polaren, eiskalten Flecken,
jetzt rüttelt er an Fenstern, die Saiten zu leiten
nach wärmeren Luken musselinreiner Gezeiten.
Es ist das Herbstspiel des Windes, zu heulen
durchs Laken der Kastanienröster, nass und grau,
wie eine nächtens gefallene Frau
versteckt er sich hinter Nachrichtensäulen,
um die Schilder der Läden heulend zu verbeulen.
Alles ist schwarz. Die Windesorgel schreit
im Geäst, auf Saiten und auf altem Dache.
Bug und Segel zu zerreißen jeden Nachen,
der sich da wähnt zum Wellenkampf bereit.
(1931, 1937, 1969)
Das Lied
Letze Nacht, als ein Unsichtbarer Jemand aus dem himmlischen Krug
blauen Mondschein übers Sternenlaken ergoss,
sang ich auf dem Friedhof vom Glück.
Und die Kreuze streckten verzweifelt die Arme.
Grimmige, stumme marmorne Kreuze
streckten die Arme aus zum Glück…
Es war feierlich still.
Lange Alleen und bronzene Sphinxe,
alles war still, alles war tot.
Allein meine Worte sangen
wie große weiße Frauen
auf dem Friedhof.
Im Tal gingen die Lichter aus
und der blaue Mondschein floss übers Sternenlaken.
(1917, 1918, 1969)
Pietà
Musik blauer, unsichtbarer Sphären.
In der Politur alter Chiffonnieren
zittert im Grün des jungen Tages
eine Kerzenflamme, fahl und flau,
dazu eine arme Frau,
über weißem, blutig-nacktem Leichnam,
wehklagt als Mutter, verzagt
über ihres Herzen Frucht,
Frucht, so lieb und still und zahm.
Ihr Umriss durch den Dämmer bricht,
fahl flackert ihrer Kerze Licht.
„Ich bringe Dir Balsam, Palmen und Frieden!
Dies alles, mein Sohn, es sei Dir beschieden!“
Still Glockengeläut und Siegesgesänge.
Auf Barrikaden blutige Kampfesklänge,
ein lachend rotes Banner in blaue Höhen ragt,
den Bannerträger weinend die Mutter beklagt.
Und als hätte im Tode er zu ihr gesprochen:
„Alles war Lüge, hast du sie gerochen?
In unserem Hause riecht es nach Lügen,
als wolle ein finsterer Dämon mich kriegen,
schon hat er in meine Wunde gestochen.
Ein lügenhaft Ostern ist heut angebrochen.
Wir gingen, liebste Mutter, einander an die Gurgel,
und dein Herz musste sieben Mal geschlachtet schmachten.
Wie trunkene Barbaren taten wir einander abschlachten
für die Wirklichkeit schwarzer, hartnäckiger Sachen,
und alles ist Lüge, nicht schwarz, nicht weiß, nur fürchterlich,
der Barrikaden, des Buches, des Wortes und des Kreuzes an sich,
und nichts ist wirklich da, weder Gott, noch Teufel,
o warum, Mutter, gingen wir einander an die Gurgel?
Musik blauer, unsichtbarer Sphären.
In der Politur alter Chiffonnieren
zittert im Grün des jungen Tages
eine Kerzenflamme, fahl und flau.
(1918, 1969)
Resignation
Es steigen der Dämmerung braune Geraden von der Erde zum Himmel empor,
Es fügen sich die Farben zu stillen Akkorden,
in müdem Körper erlischt der Trotz der Atome,
als würde jemand in uns Geige spielen,
und so senkt es sich nieder, das aschgraue Dunkel.
Erschöpft und gebrochen gehe ich durchs Halbdunkel.
Ich spüre mein Hirn leuchten, wie eine Lampe.
Ich spüre, ich bin auferstandene Erde,
die wieder sich leget, wenn die Zeit ist gekommen.
Es ist noch nicht Frühling. Es läuten zur Ouvertüre
die ersten Wasser zwischen den Furchen
und weinen traurig im Schatten des Gewölks,
das in fauligem Grau vor sich hin dampft
am Horizont.
Ich betrachte die Wolken, als würde ich einer alten Zither lauschen.
Was ist das für eine Wolke im grauen Himmelsblinken,
die so traurig erlischt am toten Azur?
Ein versunkener Kahn? Oder scheint sie mir nur,
einer zu sein und dass Kähne immer sinken?
Was für eine schmerzende Dämmerbitternis,
wenn der Tag verwelkt und alle Farben schwinden,
wie Kelche bleicher, trauriger Blüten?
Was, das dem Menschen alle Leichtigkeit entriss,
um mit neuem Schwung zum Himmel sich zu winden,
zu Klängen, die toll vor Leidenschaft wüten?
Es fügen sich die Farben zu stillen Akkorden und leise tönt der Einbild-ung Zither,
der Mensch als Erde sich selbst bewandert,
ist die Zeit einmal da, dann legt er sich wieder.
(1920, 1937, 1969)
Ein Damenhandschuh auf dem Tisch
An weiblicher Hand ein Handschuh aus Faden,
Finger lang und schmal, Gelenke schon spröde,
Nägel blau und faulend, und irgendwie öde,
Und alles von Bildern des Todes beladen.
Das Stück ist zu Ende, nur sinnleere Schwaden,
die Hand ist gar dunkel, damenhaft, kalt,
bewegt sich so müde, kläglich und alt,
und mürbe und weich, wie irdene Fladen.
O Todeshand auf dem Tischtuch so bleich,
du bist wie ein Bild, ein finsteres Zeichen,
vor Schauder kribbelt es in meinem Fleisch:
trübe Erinnerung, leeres Entweichen,
ich starre ins Schwarze, es regt sich sogleich
im Blicke ein Trotz, neue Kraft zu erreichen!
(1931, 1937, 1969)
Selbstmord eines nächtlichen Barmädchens
Genug geleuchtet, ihr roten Lichter,
auch mit den Smokings in dieser Höhle sei Schluss!
Des tausenddreiunddreißigsten Gastes besoffener Kuss
stinkt nach billigem Wein. Ein schlängelnder, lichter
Strahl glänzt im Glase über des Tischtuches Fransen,
indes die Fräcke lachen, gehen, winken, tanzen,
über fettige Tapeten kriechen dicke Wanzen.
Der Mensch spricht in Wörtern, manchmal in rechten
Sätzen zur Nacht, ihrem finsteren Lauf,
Wort für Wort, und alles geht unsichtbar auf,
die Jungfräulichkeit,
die mädchenhaft blonden, duftend reinen Flechten,
die Kehle und das Fleisch, Wachs rinnt am Herzen hinab,
so nutzt dann das Herz wie ein alter Fetzen sich ab.
In dieser trillernden, trommelnden, giftigen Nebelsuppe
steht auf Frauenschultern der Kopf einer faulenden Puppe.
Im Kreise aus bitterem, gepanschtem Wein
schimmert eines fernen Jungfernmondes Schein.
Nie mehr sollt‘ es geben diesen mondenen Schein!
Wo an steinerner Schwelle Silber sich ergießt,
ein grünes Geheimnis über grünen Teppich fließt;
keine Nacht könnte grüner oder stiller sein.
Es flimmern die Kronen, es glänzt das Geäst.
Auf Halmen liegt Tau. Glühkäfer, Oleander.
Rosenduft kündet von reifendem Sommer,
ein Junihimmel, der treiben sich lässt,
in Heiterkeit feiern die Wolken ihr Fest.
Eine angelehnte Tür im silbernen Schein,
als träte soeben jemand herein.
Das Rauschen eines weißen Kleides;
noch rieselt am baren Fuße der Sand,
und niemand ist da. Nur Mondschein, ein weites
grünes Licht, das im Halbdunkel sich fand.
Aus diesen glänzenden Hülsen, aus Plage und Betrinken,
aus Kopfweh, Liebesbriefen, die nach Rum und Kerosol stinken,
aus dieser triefenden Höhle, wo rauchige Lichter blinken,
tat ein Mädchen der Nacht im Mondschein versinken.
Unter Trommeln, Trompeten, schrillen Trillerpfeifen,
Angstkrämpfen, Gift und mädchenhaftem Kreischen,
zerbrochenen Gläsern, Schweiß-Hemdkragen-Keifen,
tat eine unschuldige Seele der Hölle entweichen.
(1931, 1937, 1969)
Wo treiben all diese Städte hin?
Wo treiben all diese Städte hin
mit ihren Türmen und Schornstein-Gespenstern,
Trauergesichtern in schmierigen Fenstern?
Was dämmern die Dächer so morsch vor sich hin,
die dreckigen Gassen, das leere Gebimmel?
Grau wie ein Laken färbt sich der Himmel.
Kirchen, drin tote Heilige weilen,
faulender Zeitungen schlammige Fetzen,
alle voll falscher, stinkender Zeilen.
Und alles windet sich, trübe und ätzend,
giftig und dunkel wie knäuelnde Schlangen,
von oben mit rußigen Flügeln verhangen.
(1934, 1937, 1969)
Croatian journal of international literary relations
Umgedichtet aus dem Kroatischen von Boris Perić
Miroslav Krleža (7. Juli 1893 in Zagreb, seinerzeit Österreich-Ungarn – 29. Dezember 1981 ebenda) war einer der bedeutendsten kroatischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Im Laufe von 66 Schaffensjahren verfasste er über 50 Monographien zahlreicher Genres, von Lyrik und Polemik über Erzählungen, Romane und Dramen bis hin zu Reiseberichten und politischer Publizistik. Zu seinen wichtigsten und wohl bekanntesten Büchern (von denen eine Reihe bereits ins Deutsche übersetzt wurde) gehören u. a. der Erzählband „Der kroatische Gott Mars“ (Hrvatski bog Mars, 1922, 1933.), die Romane „Die Rückkehr des Filip Latinovicz“ (Povratak Filipa Latinovicza, 1938), „Ohne mich. Eine einsame Revolution“ (Na rubu pameti, 1938), „Bankett in Blitwien“ (Banket u Blitvi, 1938, 1939, 1962) und „Die Fahnen“ (Zastave, 1967), der Dramenzyklus „Die Herren Glembaj“ (Gospoda Glembajevi, 1928, 1932), sowie der im kajkavischen Dialekt verfasste (beim Zagreber Verlag „Most“ 2016 als kritische Gesamtausgabe in deutscher Sprache erschiene) Gedichtzyklus „Die Balladen des Petrica Kerempuh“ („Balade Petrice Kerempuha“, 1936). In dieser Ausgabe bringen wir eine einführende Auswahl aus Krležas štokavischer Lyrik aus verschiedenen Gedichtbänden in deutscher Übersetzung. Eine umfangreichere, kritisch-annotierte Auswahl, ebenfalls in deutscher Übersetzung, befindet sich in Vorbereitung.